Windows
Die Jon Lord-Wiederveröffentlichungsreihe geht in die zweite Runde. Nach „Gemini Suite“ wird nun „Windows“ endlich wieder in die Läden gewuchtet. Ich spare mir jetzt sämtliche blöden Witze, die mit Worten wie „Windows“ und „Upgrade“ zu tun haben. Versprochen. Und da das Album in den letzten Jahren auch in den klanglich schwächeren Originalausgaben nur noch gebraucht und zu Fantasiepreisen erhältlich war, kann man diesem Re-Issue bescheinigen, absolut Sinn zu machen. Aber, was ist mit der Musik?
Wie alle Lord-Alben ist auch „Windows“ kein unumstrittenes Werk. Im Gegensatz zu Frank Zappa blieb dem Deep Purple– und Whitesnake-Organisten der Respekt der Klassikwelt – sehr zu seiner Unzufriedenheit – immer verwehrt. Nun, warum das so ist, darüber haben bereits gelehrtere Köpfe als meinereiner spekuliert, aber es KÖNNTE natürlich damit zu tun haben, daß Lord in jungen Jahren zum Ärger der Traditionswächter die reine Klassik nie ausreichte. Auf „Concerto For Group and Orchestra“ und „Gemini Suite“ wurden Rockelemente integriert, auf „Windows“ kommen nun auch noch Jazz und gar Improvisationen hinzu. Das kann den Klassikhörer schon einmal überfordern. Und, vor allem: so richtig dem E-Musik-Begriff kann man „Windows“ auch gar nicht zuordnen. Selbst wenn ‚Continuo On B.A.C.H.‘ den Versuch wagt, Johann Sebastian Bachs unvollendete ‚Schlussfuge‘ zu Ende zu komponieren, klingt das dann doch auch dank der Drums, Gitarren, dem gewohnt funkigen Bass von Glenn Hughes und der unverkennbaren Hammond des Meisters selbst eher nach klassikinfiziertem Prog als nach der reinen Bach-Lehre. Gleiches gilt für das zweite Stück ‚Window‘. Hier singen nämlich neben den Opernsängerinnen Ermina Santi und Sigune Von Osten auch noch Tony Ashton und die damaligen Deep Purple-Kollegen David Coverdale und Glenn Hughes – über eine groovige, Spät-Motown-lastige Improvisation auf Grundlage des Hauptthemas. Speziell, wenn die Opernsängerinnen sich mit Gitarrist Ray Fenwick duellieren oder an Jazz-Tonalität versuchen, klingt das dann durchaus auch ein wenig schräg, da schreit das Lamm einmal mehr „Hurz!“. Wenn aber danach das Thema der „Gemini Suite“ mit seelenvollem Gesang von Hughes, Coverdale und Ashton aufgegriffen wird, vergibt man Glenn Hughes sofort für jedes ‚Georgia On My Mind‘. Da geht dem Freund des pompösen Siebziger-Progs mit Sicherheit das Herz auf.
Für Deep Purple-Freunde ist natürlich das „Concerto“ auf alle Ewigkeiten heilig, „Windows“ ist aber rückblickend von allen Klassik-Exkursionen Jon Lords wohl das stimmigste, abwechslungsreichste und aufgrund der Experimente mit Jazz-, Rock- und gar Blues-Improvisation auch das mutigste Gesamtwerk. Durchaus denkbar, daß hier auch der Input des experimentellen Komponisten Eberhard Schoener einen entscheidenden Anteil hat. Und dank des exzellenten Remastering-Jobs erstrahlt das gute Stück in seiner neuesten Auflage auch in überraschend transparentem und differenziertem Soundgewand. Deep Purple– und aufgeschlossenen Prog-Fans schlagen sofort zu und schließen mit „Windows“ eine erhebliche Lücke in der Sammlung.