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Uthlande

Turbostaat sind bekannt dafür, sperrig zu sein. Sie legten sich ab der ersten Platte „Flamingo“ (2001) textlich und musikalisch quer, verlangen von der HörerInnenschaft, Hirn und Fantasie einzuschalten und mitzudenken. Auch der siebte Langspieler „Uthlande“ (PIAS) macht da keine Ausnahme. Wer Auf-die-Fresse-Punk mit unmissverständlich rausgebrüllter Message bevorzugt, ist hier falsch. Turbostaat haben eine Menge zu sagen. Doch die oft subtile Botschaft will bewusst vernommen werden.

Uthlande – ein alter, norddeutscher Begriff für die Inseln, Halligen und das Marschland vor der friesischen Küste. Das Bild, das sich aufdrängt, ist geprägt von Einsamkeit, rauem Klima, Kampf mit und gegen Naturgewalten und bodenständigen Menschen, die es sich nicht leisten können, zu vielen Tagträumen nachzuhängen. So in etwa fühlt sich auch die Platte des Fünfers aus Flensburg an. Kälte und Einsamkeit sind Kernthemen, die sich nicht zwingend nur auf das Individuum, sondern auch auf die Gesellschaft als Ganzes beziehen.

Alles auf „Uthlande“ schreit nach Wärme und Zuwendung wie ein vernachlässigtes Kind, das sich allerdings gleichzeitig mit Händen und Füßen gegen jede freundliche Geste sträubt, weil es nie bedingungslose Liebe erfahren hat und fürchtet, einmal mehr enttäuscht zu werden. Eisige Post-Punk-Gitarrenakkorde schweben meist über den restlichen Instrumenten und vermitteln eine gehetzte Eindringlichkeit, die fast den Atem raubt. Düster wabernde Basslinien ziehen sich durch viele Stücke, unter anderem den furiosen Uptempo-Opener „Rattenline Nord“, der die völkischen Umtriebe unserer Zeit zum „Das konnten wir ja alles nicht wissen“ hin zu Ende denkt.

Doch Turbostaat können auch emotional, ja liebevoll. „Stine“ ist so ein Stück, das gleichzeitig rührt und wütend macht. Es geht um eine Frau, der im Leben nichts geschenkt wird, die sich durchkämpft und aus der Rolle fällt – und damit den Ärger der anderen auf sich zieht. „Warum kannst Du nicht wie alle sein? // Warum kannst Du es nicht?“ brüllt Sänger Jan Windmeier stellvertretend für die Meckerer ins Mikro. Ein Song, symptomatisch für eine Gesellschaft, in der jeder wahnsinnig individuell sein will, dabei aber bitte immer schön konform und massenkompatibel bleiben soll. Andernfalls folgen soziale Sanktionen.

„Uthlande“ lässt sein Publikum mindestens nachdenklich, wenn nicht gar desillusioniert, frustriert und wütend zurück. Turbostaat prangern an, ohne moralinsauer zu werden. Sie bohren in der eitrigen Wunde, ohne süffisant oder überheblich zu sein und mahnen, ohne arrogant den erhobenen Zeigefinger zu schwingen. Die Flensburger sind moderne Poeten, die den Nerv der Zeit treffen und nicht beschönigen können, was sie beobachten. Mit „Uthlande“ haben sie die Messlatte für deutschsprachigen Punk einmal mehr ordentlich hoch gehängt.

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