Ur-Chraft
Ist es unzulässiges Name-Dropping, beim Debüt-Album „Ur-Chraft“ der Walliser Folk-Metal-Band Tylangir die großen Eluveitie als Vergleich heranzuziehen? Eine rhetorische Frage – Ist es nicht.
Das 2017 gegründete Septett aus dem deutschsprachigen Teil des Schweizer Kantons hat mit dem bekannten, „großen Bruder“ mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Nun hat die Truppe ihr erstes Album „Ur-Chraft“ veröffentlicht. In fleißiger DIY-Manier gänzlich ohne Label. Bescheiden und „leise“ auf allen bekannten Streaming-Plattformen – ein physischer Release soll im Frühsommer folgen. Und was soll man sagen? Es ist ein düster funkelnder Edelstein von einem innovativen Folk-Extreme-Metal-Release. Und er vereint viele Qualitäten, für die auch die weltweit erfolgreichen Eluveitie bekannt sind. Abgesehen von Bekanntheit und Erfolg ist alles da. Und die können ja durchaus noch kommen.
Tylangir spielen handgemachte Musik. Mit Flöten, Tier-Hörnern, Harfe, Geige, Trommeln, Rasseln und allerlei anderen Folklore-Instrumenten. Die sind gleichwertig in das Bandkonzept eingegliedert, Harfe und Flöten dienen nicht nur zur Akzentuierung der modernen Instrumente. Unverkrampft charmant kombiniert mit gletscherkalten Screams und unheimlichen Growls ist das eine sehr ausgewogene Sache . Statt in helvetischem Gallisch verfassen Tylangir ihre Texte in der regionalen Variante des Schweizerdeutsch und erzählen Geschichten und Sagen aus dem Bergkanton des Matterhorns. Noch mehr Vergleiche gefällig? Tylangir sind in ihrer Metal-Spielart erfrischend innovativ und einzigartig – und das gilt unabhängig vom „Exotenbonus“, den die Truppe aus Brig zweifellos inne hat. Und sie hat ein gutes Gespür für eingängige, stimmungsvolle Folklore-Melodien jenseits von banalem Extreme-Metal-Geknüppel.
Das Album mit fast genau einer Stunde Spieldauer ist eine rundum stimmige Sache. Zugegeben – den einleitenden Monolog „Äs Liäd wa in iisch allu singt…“ versteht man in seiner Gänze zunächst nur, wenn man der Walliser Mundart mächtig ist. Selbst die meisten Schweizer dürften da an der einen oder anderen Stelle Schwierigkeiten haben. Aber natürlich läßt sich treffend erahnen, daß es um die „Ur-Chraft“ geht – die Natur, den Bergen, der Heimat und ihren Menschen innewohnt. Und der widmen die Walliser einen eindrucksvollen Song, der unter anderem Growls mit Jodeln (!) vereint. Bei „D‘ hibsch Mailändäri“ geben die Metaller-Herzen in der Band Vollgas – aber erst nach einem zauberhaften Intro mit Flöte und Harfe. „Wassär frisst Land“ wartet neben der vielseitigen Instrumentierung auch mit interessanten Takt- und Tempowechseln auf. „D‘ schüdärhaft Stimm“ vereint ein simples aber grooviges Metal-Riff mit Harfe, Mandola und Flöte. Bei „Quatämbärchind“ mit seinem gemächlichen Tempo und schauriger Moll-Atmosphäre gibt es genauso wie bei „Där Sippuschgattär“ mehrstimmigen Klargesang und klappernde Knochen-Rasseln, die an ein heidnisches, tranceartiges Ritual erinnern – daran ändern auch die Black-Metal-Drums gegen Ende wenig.
„Zum heidnisch Biel“ ist einer der wenigen Titel, der mit einem schnellen Thrash-Riff beginnt, aber die Folk-Instrumente dafür später bringt. Die drei letzten Songs „Där Rollibock“, die Band-Hymne „Tylangir“ und „D‘ alt Schmidja“ hat die Band bereits vor einem Jahr bei Youtube veröffentlicht. Die Sage vom Rollibock beschreibt die Personifikation der Natur am Aletschgletscher, die sich rächt, wenn man sie erzürnt. Die Tiranglier waren einer der ersten Volksstämme im Oberwallis, von denen der Bandname stammt und denen mit dem Song ein Denkmal gesetzt wird. Mit einem überaus eingängigen, fast epischen Chorus. Und „D‘ alt Schmidja“ erzählt die traurig-schöne Sage von einer alten Spinnerin, die für die im Schnee verirrten Seelen betete. Traurig, düster, wehmütig ist der letzte Song eines sehr gelungenen Folk-Metal-Albums. Wer Bands wie Eluveitie, Skyclad, Curachan oder Heilung mag, dem werden auch Tylangir gefallen. Sehr.
Note: 1