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Tiergarten

Die Generation der Wendekids hat’s gut. Nach den Skeptikern, Slime, Wizo, Toxoplasma und Hass hat sich unlängst eine weitere kultige Deutschpunk(im weitesten Sinne)-Band wieder zusammengetan, die den wilden Jahren ihren Soundtrack verpasst haben. Die Herren MC Motherfucker und Jacho, führende Köpfe der Terrorgruppe, haben 2014 ihrer Sehnsucht nacheinander nachgegeben und dem Berliner SO36 zwei ausverkaufte Comeback-Shows beschert. Seitdem geht’s rund, und das nicht nur in Kreuzberg, sondern – wie wir nun erfahren – auch im ‚Tiergarten‘.

Ist es Blasphemie, sich die Frage zu stellen, ob das wirklich nötig ist? Die oben genannten, mehr oder weniger gelungenen Re-Unions haben uns schließlich vorsichtig werden lassen und bestätigen mitunter, dass jede Zeit ihre Band hat – und umgedreht. Sicher, an Live-Qualitäten hat die Terrorgruppe auch in neuer Zusammensetzung nichts eingebüßt. Aber reicht der Enthusiasmus für neue Songideen?

Aber ja, man whooo-t sich direkt in den Opener ‚Blutbürger‘ und macht mit ‚Schlechtmensch‘ umgehend in einem so gut bekannten Stil weiter, als hätte es die zehn Jahre ohne Terrorgruppe nicht gegeben. Auch mit neuem, ausgiebigem Orgeleinsatz und im altersgerechten Midtempo wird zelebriert, was die Band in ihrem ersten Leben so gekonnt etabliert hat: Aggropop. Der wird angereichert durch 2-Tone-Elemente, Klatscheinlagen, NDW-Reminiszenzen und mitunter allzu griffigen Hooks – auf ihrem Comeback-Album hat sich die heutige fünfköpfige Band hübsch ausgetobt.

Da ist der Spaßfaktor größer als der künstlerische Anspruch, aber so kennt man die Terrorgruppe. Sowieso ging es ja schon immer mehr um, äh, die Inhalte, und die werden – albern, satirisch, rotzig wie eh und je – formvollendet vorgetragen von Archi MC Motherfucker. Zwischen dem Abgesang auf das ‚Quatsch-System‘ und der Aufforderung

‚Geh ma reflektier’n!‘

rauft er sich die Haare:

‚Bin ich der Arsch vom Universum?‘

Die heutigen einheimischen Volksvertreter geben der Terrorgruppe keinen wirklichen Anlass mehr, beliebte Schmählieder wie einst zu verfassen. (Wir erinnern uns gern an ‚Keine Airbags für die CSU‘ oder ‚Die APPD muss ran‘, und dann war auch noch was über die heute mächtigste Frau der Welt…) Dafür wird weiter fröhlich auf die Weltmacht in Übersee gebasht (

‚Yankees raus aus USA, Winnetou ist wieder da!‘

), die Party-hard-Generation abgewatscht (

‚Freitagnacht im Kriegsgebiet, Flatrate-Saufen auf Kredit… / Zwischen Haupthaar und der Stirn liegt der letzte Rest von meinem Hirn…‘

) oder sich ein wenig in Selbstmitleid verloren (

‚Ich hab’n Dauerabo auf wie man sich das Leben schwermacht.‘

)

So gut, so spaßig. Es ist dennoch bezeichnend, dass die besten Songs auf ‚Tiergarten‘ mit Hilfe von außerhalb entstanden sind. Da wäre zum Einen das Berlin Diskret-Cover ‚Immer Besser‘, dem zwar auch mit dem inzwischen unvermeidlichen Hammondorgel-Sound zu Leibe gerückt wurde; ein wunderbar treibender Bass reißt’s aber raus. Zum Anderen stellt Gastsänger Tarek von K.I.Z. tatsächlich mit ‚Schmetterling‘ den Höhepunkt des Albums dar.

Wozu ist sie also gut, eine Platte der Terrorgruppe im Jahre 2016? Nun, sie beweist mindestens, dass dem Sound und Witz der Band – und damit ebenso den Fans – der Staub der Geschichte und eine hypothetische persönliche Reife nichts anhaben können. Sehr kurzweilig ist ‚Tiergarten‘. Nötig ist es vielleicht nicht, aber fein.

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