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The Night Siren

Selbst harte Verehrer mussten bei Steve Hacketts letztem Album „Wolflight“ zugeben, daß der Gute sich stilistisch womöglich ein wenig zu sehr festgefahren hatte. Und die Spötter zogen daraus und der Tatsache, daß Steve in den letzten Jahren vornehmlich mit Genesis-Tribute-Shows tourte, bereits den Schluß, daß es das kreativ nun wohl gewesen sei.

Aber Pustekuchen. Steve hat das Problem offenbar selbst verortet und für sein neues Album nicht nur eine leichte Kurskorrektur vorgenommen, sondern auch das abwechslungsreichste und frischeste Solomaterial seit Langem komponiert. Dafür hat er sich eine ganze Menge Kollaborateure aus aller Welt ins Studio geholt und sich kräftig von World Music aller Art inspirieren lassen. Viel osteuropäische Folklore, die asiatischen Skalen sind auch wieder am Start, dazu afrikanische Grooves, lateinamerikanische Percussions – und natürlich Steves ureigenen Mischung aus Prog, Klassik, Pop und englischem Folk. Im Zentrum stehen diesmal wieder die Melodien, sowohl Gesangs- als auch natürlich die sustainreichen, sahnigen Gitarrenmelodien. Das locker rockende ‚Martian Sea‘ beispielsweise ist ein echter Ohrwurm, der als Kontrast ein Sitar-Solo verpasst bekommt. ‚Fifty Miles From The North Pole‘ beginnt mit James Bond-Gitarre und wird dann zum düsteren Schlepper, der soulige Backgroundchöre, überraschend heavy ausgefallene Riffs und an den letzten Türkeiurlaub erinnernde Streicher in sieben Minuten zu einem Highlight von Hacketts Karriere bündelt. Aber auch das typische Semi-Akustikstück ‚Other Side Of The Wall‘, das klar an die „Trick Of The Tail“/“Wind And Wuthering“-Ära von Genesis erinnert oder das mit Jon Anderson-mäßigen Vocal-Layers ausgestattete ‚Inca Terra‘, bei dem man sich tatsächlich an einen Ritt über die Anden erinnert fühlt. Fast schon pure Popsongs sind ‚Anything But Love‘ (wenn die zweite Hälfte nicht wäre, in der Steve die Gitarrensau rausläßt) und das bombastische ‚West To East‘, daß auch Asia gut zu Gesicht gestanden hätte. Bei aller Abwechslung aber geht der rote Faden nie verloren, ganz im Gegenteil: „The Night Siren“ wirkt, mehr noch als Steves vorangegangene Alben, den Eindruck eines homogenen Gesamtwerkes, ja, fast schon Konzeptalbums.

Bleibt nur zu hoffen, daß die neugefundene Frische sich auch auf die kommende Tour überträgt. Steve Hackett hat nämlich nach wie vor viel zu viel zu bieten, als daß er sich als Gralshüter der 1970er Genesis verdingen müßte. Mit „The Night Siren“ hat er sich auf jeden Fall seinen Platz an der Spitze des klassischen Progressive Rock zurückerobert.

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