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SweetKiss Momma – Vom Gottesdienst zur Rockbühne


Sweetkiss_Momma_6.jpgSweetKiss Momma aus dem US-Bundesstaat Washington sind in ihrer Heimat auf dem richtigen Weg. Das letztes Jahr auch bei uns erschienene zweite Album A Reckoning Is Coming wurde von einem Grammy-Gewinner gemastert und erhielt gute Kritiken. Die vier Amerikaner haben in ihrer Heimat schon eine Menge Konzerte gegeben, aber die Band ist jetzt das erste Mal in Deutschland, das erste Mal überhaupt auf europäischem Boden, um hier Musik zu machen. Und die klingt in diesem Fall wie eine Mischung aus Lynyrd Skynyrd, The Black Crowes und den Kings Of Leon. Das Tourleben ist anstrengend und macht hungrig, und so haben Jack Parker (Gitarre), Jimmy Hughs (Schlagzeug) sowie die beiden Brüder Jeremy (Bass) und Jeff Hamel (Vocals, Gitarre und Harmonica) gesunden Appetit, als sie sich im Chinarestaurant mit uns über die Geschichte ihrer Band und ihre Musik unterhalten. Zunächst fällt uns aber der aktuelle Wechsel im Line-Up auf: Gitarrist Aaron Arnold hat die Band nur wenige Wochen vor dem Beginn der ersten Europatour aus persönlichen Gründen verlassen und wurde durch Jack Parker ersetzt.

„Wir hatten auch gerade noch einen Fernsehauftritt geplant, und natürlich stand die erste Europatour an“

, erinnert sich Frontmann und Bandgründer Jeff Hamel an die Probleme der vakanten Positon an der Leadgitarre.

„Ich habe einige Freunde gefragt und ihnen geschrieben, was wir brauchen, und so wurde uns Jack Parker empfohlen. Wir hörten ihn uns an, und ich sagte zu ihm: ‚Hey, du bist sexy! Spiel‘ Gitarre für uns!'“

Hamel lacht, und der neben ihm sitzende Jack Parker muss jetzt ebenfalls grinsen.

„Call me, maybe?“

zitiert der Musiker augenzwinkernd den bekannten Ohrwurm.

Sweetkiss_Momma_7.jpg „Mit dem neuen Gitarristen, der nun nur noch wenig Zeit hatte, die Songs zu lernen und dann gleich mit auf Tour kam, waren Sweetkiss Momma wieder zu viert, und so konnte sich die vier „Js“ Jeff, Jeremy, Jack und Jimmy auf nach Europa machen, um hier ihren Southern Rock zu verbreiten. Oder wie würden die Musiker selbst ihren Stil beschreiben?

„Die Leute sagen, wir machen Southern Rock“

, erklärt Leadsänger und Gitarrist Jeff Hamel.

„Mit dieser Aussage können wir leben, auch wenn wir im Nordwesten nun mal so weit vom Süden entfernt sind, wie man ungefähr nur davon weg sein kann.“

Hamel und die anderen stammen aus dem kleinen Ort Puyallup südlich der Metropole Seattle ganz oben im Nordwesten der USA. Seattle wurde durch Nirvana und Grungerock bekannt und ist eben nicht gerade eine Hochburg des sogenannten Southern Rocks.

„Ich nenne unseren Stil ‚American Roots Rock'“

, erklärte Hamel.

„Er enthält Elemente des Blues, aber auch Country, Gospel und vor allen Dingen Rock’n’Roll, alles miteinander vermischt. Was dabei heraus kommt, kann man wohl als Southern Rock bezeichnen, ja. Diese Elemente haben den Southern Rock schon immer ausgemacht. Wir haben uns ja nicht hingesetzt und gesagt, wir wollen diese oder jene Art von Musik machen, es hat sich einfach so entwickelt. Ich meine, ich schreibe ständig Songs, und zusammen mit der Band haben sich die Songs so entwickelt, wie sie jetzt klingen. Wir haben nicht speziell darauf hingearbeitet, wie Southern Rock zu klingen, und wir haben uns auch nicht hingesetzt und gesagt: Hey, wir sind aus Seattle, wir dürfen nicht wie Grunge klingen!“

Jeff Hamel erklärt, dass sich der Stil der Band eben einfach durch seine Songwriting-Ideen ganz spontan so entwickelt hat.

„Das ist die Art von Musik, die wir mögen. Obwohl wir viele verschiedene Stile gern hören.“

Sweetkiss_Momma_8.jpg „Dieser Stil wurde maßgeblich vom Gospel beeinflusst, denn im Grunde haben SweetKiss Momma ihre Wurzeln in der Kirche. Ja, richtig gelesen. Aber fangen wir doch ganz von vorne an. Jeff Hamel erinnert sich an die Anfangszeiten der Band, die 2008 gegründet wurde.

„Im originalen Line-Up, zu dem ich ja schon immer gehört habe, waren wir einfach eine Gruppe von Leuten, die Sonntags in der Kirche Musik gemacht haben. Wir haben Gospels und Spirituals gespielt.“

Die amerikanische Kirchenmusik untescheidet sich bekanntlich grundlegend von unserer. Bei uns bedeutet Kirchenmusik in der Regel lediglich, dass die Gemeinde mehr schlecht als recht ein paar Lieder singt und der Organist mehr oder weniger monoton dazu spielt. In den USA treten regelmäßig ganze Rockbands in den Gottensdiensten in Erscheinung und verpassen Gospeln und Spirituals eine modernes, rockigeres Gewand. Die Grenzen zwischen Blues, Gospel, Spiritual und modernem Rock sind da fließend. Gerade aber auch im Bereich der Country Music haben viele Künstler ihre Karriere in den Gottesdiensten begonnen.

„Eines Sonntags haben wir uns gedacht, dass es doch cool wäre, mal etwas völlig anderes zu spielen, zum Beispiel eben Rock’n’Roll. Also haben wir uns getroffen und gejammt und es ausprobiert.“

Jeff Hamels jüngerer Bruder Jeremy war zu diesem Zeitpunkt gerade aus Kalifornien zurückgekommen, wo er Militärdienst bei der Luftwaffe abgeleistet hatte. Jeremy spielt die Bassgitarre und wurde schnell ein Mitglieder der neu entstandenen Band. Die anderen Originalmitglieder der Band stiegen nach und nach aus, zuletzt eben Aaron Arnold.

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„Für uns alle war es die erste Band, und das ist es immer noch“

, erklärt Jeff Hamel nicht ohne Stolz. So formierten sich die Musiker und nahmen ein paar Songs auf. Schnell wurden die ersten Auftritte in lokalen Clubs im Großraum Seattle gebucht, und schon stand die Band vor der nächsten Herausforderung: Ein griffiger Name musste her.

„Bis kurz vor unserem ersten Liveauftritt hatten wir noch keinen Bandnamen“, erinnert sich der Sänger. „Wir hatten verschiedene Ideen, wie wir uns nennen könnten. Unser damaliger Gitarrist Aaron hatte die Idee, wir könnten ja ‚Scuzzbucket‘ heißen, was uns aber zu sehr nach einer Metalband klang.“

Basser Jeremy hätte dieser Name wohl gefallen, wie er an dieser Stelle einwirft. Die eigentliche Erleuchtung kam dann aber, als Jeff Hamel mit seiner Ehefrau und ihrem gemeinsamen damals einjährigen Sohn im Auto unterwegs war und von seiner Frau geküsst wurde.

„Sie trug diesen Lipp-Gloss mit Fruchtgeschmack, und ich habe mich zu meinem Sohn auf dem Rücksitz umgedreht und zu ihm gesagt: ‚Hey, wir haben heute aber eine süß-küssende Mutti, was?‘ Da wurde mir klar, dass das ein toller Name für die Band ist. Es war der erste Name, und wir sind seither dabei geblieben.“

Damit wäre dann wieder einmal das Mysterium eines Bandnamens aufgeklärt.

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Sweetkiss_Momma_11.jpg „Sound und Stil der Band werden immer wieder mit dem der Allman Brothers, den Black Crowes oder auch Lynyrd Skynyrd verglichen. Wo sehen SweetKiss Momma selbst ihre musikalischen Vorbilder und Einflüsse?

„Ach, Einflüsse…“

beginnt Jeff Hamel.

„Klar, wir lieben die genannten Bands. Wir mögen die Allman Brothers, wir mögen Syknyrd, und wir lieben ganz besonders The Black Crowes. Es ist wirklich toll und ungeheuer schmeichelnd, wenn man uns mit diesen Bands vergleicht. Ich denke, wir schreiben tatsächlich ganz gute Songs und sind recht gute Musiker, aber diese Bands sind auf einem ganz anderen Level. Für jeden guten Song, den wir haben, schreibe ich vermutlich zehn andere, und neuneinhalb davon sind schlecht.“

Der Bandleader überlegt und macht dann auf Nachfrage noch ein paar Ausführungen zum Prozess des Songwritings innerhalb der Band.

„Eine Menge Songwriter werden mir da wohl zustimmmen. Man schreibt einfach jede Menge Songs, und hin und wieder ist da dann ein wirklich guter dabei, den man mit der Band dann weiter entwickelt und schließlich veröffentlicht. Wir haben mal aus Scherz in der Band gesagt, dass wir mal ein zweites Projekt mit einer anderen Art von Musik machen könnten, vielleicht mehr auf der Elektro-Schiene mit völlig anders klingenden Gitarren und so. Wir mögen ja wirklich eine ganze Menge verschiedener Stile, weißt Du? Aber um auf die Einflüsse zurück zu kommen… unsere größten Einflüsse sind immer noch die Gospel und Spirituals aus der Zeit, als wir in Gottendiensten gespielt haben. Früher haben Aaron und ich gemeinsam die Songs geschrieben, wobei er mehr für die etwas härteren Riffs zuständig war. Es gibt da kein festes Rezept für’s Songwriting. Manchmal gibt es eine Melodie in meinem Kopf, manchmal fangen wir mit einer bestimmten Textzeile an, manchmal haben wir ein Gitarrenriff, das ist immer ganz verschieden. Hin und wieder dauert es wirklich lange. An einigen Ideen habe ich jahrelang gearbeitet.“

Sweetkiss_Momma_13.jpg „Das zweite Album A Reckoning Is Coming wurde von Ken Coomer produziert, dem Gründungsmitglied und ehemaligen Schlagzeuger der Chicagoer Legende Wilco. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Ken Coomer?

„Als wir 2010 unser erstes Album fertig hatten, habe ich den Song ‚Strange Fire‘ zu einem Songwriter-Wettbewerb eingeschickt, der von John Carter Cash ausgerichtet wurde, dem Sohn von Johnny Cash. Wir haben mit dem Song das Finale erreicht, wenn wir dann auch nicht gewonnen haben. Ken Coomer war Mitglied der Jury, und er hat mir eine E-Mail geschrieben und gesagt, dass er den Song toll fand, und ob wir nach Nashville kommen wollten, um mit ihm zu arbeiten. Ich hab‘ das zuerst für einen Scherz gehalten. Solche Legenden kümmern sich nicht um irgendwelche unbekannten Bands aus Puyallup, Washington. Aber nach einigen weiteren E-Mails und einem Telefonat war mir klar, dass er es ernst meint, und wir konnten so eine Gelegenheit natürlich nicht ungenutzt lassen. Es war eine wunderbare Erfahrung.“

Als das Album dann fertig aufgenommen war, ging es ans Mastern. Ken Coomer empfahl hierfür Richard Dodd, der schon für Musiker wie Tom Petty, Johnny Cash und John Lennon gearbeitet und mehrere Grammys gewonnen hat. Allerdings war zunächst klar, dass eine kleine Band wie SweetKiss Momma einen Mann wie Richard Dodd nie würde bezahlen können. Aber wie heißt es so schön? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. So schrieb Hamel Dodd trotz der finanziellen Bedenken an, schickte ihm Songmaterial. Dodd willigte schließlich ein, das Album zu mastern, auch wenn das Budget der Band deutlich unter seinem normalen Preis lag. Qualität spricht eben für sich, und so entstand „A Reckoning Is Coming“ unter der Mitarbeit von Coomer und Dodd. Ken Coomer selbst spielte für einige Tracks des Albums übrigens zusätzliche Percussion ein und war damit auch direkt musikalisch beteiligt. Ein Highlight des Albums ist zweifelsohne der bluesrockige Song ‚Dirty Uncle Deezer‘. Es geht darin um einen Typen, der

‚Half a gangster and half a pimp, three-quarter lover and all bad news‘

ist. Die Band verrät uns im Gespräch über diesen Song, dass die Geschichte zwar nicht wirklich passiert, aber doch auf einem Freund der Band basiert, der auf dem Lied auch einen kleinen gesanglichen Gastauftritt bekommen hat.

„Deezer Hooch ist ein guter Kumpel und Sänger einer Band aus Seattle namens ‚Martha DumpTruck'“

, erklärt Hamel.

„Ihm hat das Ergebnis sehr gut gefallen, und seiner Frau Hannah, die ja ebenfalls im Text vorkommt, ebenfalls.“

Sweetkiss_Momma_14.jpg „Wie sehen die Pläne der Band aus, wenn die Europatour vorbei ist.

„Wir werden schlafen. Richtig viel und lange in unseren eigenen Betten!“

Ja, das Leben „on the road“ kann anstrengend sein. Guter Schlaf sei den amerikanischen Rockern daher gegönnt. Und dann? Pläne für ein drittes Album gibt es durchaus, ein paar Songs existieren bereits. Aber wann es wieder ins Studio geht – das ist derzeit noch nicht klar. Weiter gehen wird es mit SweetKiss Momma auf alle Fälle.

„Wir haben uns von Anfang an gesagt, dass wir so weit kommen wollen, wie es nur geht. Die Clubs werden langsam größer, und jetzt touren wir in Europa.“

Und wie gefällt es den Amis hier im „alten Europa“? Offenbar sehr gut, wie alle vier Musiker zugeben. Sie mögen den Kontakt zu den Fans und die aufgeschlossene Art der europäischen Konzertbesucher.

„Wir haben es wirklich genossen, hier in Europa Musik zu machen. Bei uns zu Hause haben wir die letzten sechs Jahre über immer wieder Konzerte gegeben, insbesondere im Großraum Seattle. Hier in Europa haben wir noch ein ‚frisches‘ Publikum, das uns noch nicht kennt. In Spanien zum Beispiel sind die Leute immer total ausgerastet. Ich glaube, die Spanier feiern auf Konzerten immmer eine einzige große Party. Das deutsche Publikum ist sehr respektvoll und aufgeschlossen. Viele singen mit, auch wenn sie unsere Songs vielleicht noch nicht so gut kennen, weil wir hier eben noch unbekannt sind. Wir versuchen immer, den Leuten eine gute Konzert-Erfahrung zu bescheren. Unser Publikum soll sagen: Hey, das war klasse, alles war da, gute Songs, gute Musiker, das Gesamtpaket hat gestimmt.“

Sweetkiss_Momma_12.jpg „Southern Rock, Roots, Blues, Country – alle Elemente, die den SweetKiss Momma-Sound ausmachen, sind typisch amerikanische Musikstile. Wie sieht die Band das, und kann so etwas auch in Europa erfolgreich sein? „Ich denke, die Musik kommt hier sogar besser an als bei uns zu Hause“, gesteht Jeff.

„Unsere Art von Musik wird in den USA nicht wirklich im Radio gespielt. Das Radioprogramm ist bei uns zu Hause sehr eingeschränkt. Es gibt entweder Pop oder reine Countrymusik. So etwas wie unseren Mix spielen die Sender kaum. Man mag es nicht glauben, aber tatsächlich stehen die Leute hier mehr auf diesen Musikstil als bei uns drüben.“

Drummer Jimmy Hughs wirft hierzu noch ein:

„Das ganze Music-Business in den USA richtet sich immer mehr an die Teenager. Und das sind überwiegend nicht die Leute, die unsere Musik hören. Unser Publikum ist in der Regel etwas älter!“

Es ist daher, wie Jeff Hamel verrät, für eine kleine amerikanische Band wie SweetKiss Momma eine besondere Ehre gewesen, in Europa spielen zu dürfen und bei den Fans einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen zu haben. Für die vier Musiker ist mit dieser ersten Europtour ein Traum in Erfüllung gegangen.

„Wir möchten uns daher bei allen bedanken, die zu unseren Shows hier gekommen sind. Wir hatten viel Spaß, wir würden gerne wieder kommen. Wenn wir das nächste Mal nach Deutschland kommen, werden wir hoffentlich an noch mehr verschiedenen Locations spielen können. Ihr solltet dann alle kommen und Eure Freunde mitbringen!“

grinst der Bandleader. Hört sich nach einem Plan an. SweetKiss Momma werden zurück zu uns kommen – wir sind auf alle Fälle wieder live dabei. Ihr auch?

Fotos, Interview und Übersetzung: Michael Buch
Titelfoto: Offizielle Homepage

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