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Seeds

‚Oh, here comes trouble / Put your helmet on, we’ll be heading for a fall‘

Trouble

Der Sommer ist vorbei, der Herbst neigt sich dem Ende zu und eine Frage kreiselt uns durchs Gewissen: Haben wir überhaupt genug gegrillt? TV On The Radio haben – worauf ihr euch verlassen könnt. Unter dem Motto „Lamb & Weed“ ließen es sich die Freigeister in the very Dave Siteks Heimstudio in Beverly Hills gut gehen. Und dabei allem Anschein nach auch den einen oder anderen Joint kreisen. Kein Wunder also, dass das fünfte Album der Vorzeige-Eklektiker so ausgesprochen schmissig und heiter daherkommt.

Oder vielleicht doch eines. Denn kurz nach der Veröffentlichung ‚Nine Types Of Light‘ erlag Bandmitglied Gerard Smith mit nur 36 Jahren einem Krebsleiden. Die Zukunft von TV On The Radio hing am seidenen Faden. Doch Tunde Adebimpe, David Andrew Sitek, Kyp Malone und Jaleel Burton rauften sich zusammen und stellten neue, einmal mehr charakterstarke Musik auf die Beine.

Die Pressematerialien schweigen sich demonstrativ über diese Härtephase und deren Überwindung aus. Weil Gerard Smith zwar menschlich fehlt, musikalisch aber dann doch keine so unüberbrückbare Lücke hinterließ? Es wäre nur auf den ersten Blick pietätlos, würden die übrigen Musiker sich und uns das eingestehen. Auf den zweiten Blick wäre es nicht viel mehr – und nicht weniger – als Indiz der bärenstarken Konstitution einer Band, die gewillt ist, über sich hinauszuwachsen. Und dafür ein bisschen was zu vergessen:

‚What you don’t know won’t hurt you, yeah / Ignorance is bliss / I’m a happy idiot / Waving at cars // I’m gonna bang my head to the wall / ‚Til I feel like nothing at all / I’m a happy idiot / To keep my mind off you.‘

Oder wie lautete noch gleich das Gegenteil von „vergegenwärtigen“?

Für ‚Seeds‘ spannten TV On The Radio den kreativen Bogen zwischen New York und Los Angeles und füllten ihren Köcher mit einem dutzend flotter Geschosse. Die Percussion gibt sich den Zwiebel-Look und rieselt nur so über vor Synkopen; die stimmführenden Spuren zerlegen die Wiedererstarkten wie Lichtstrahlen im Prisma. Ob nun das auf Französisch einsteigende, wortverspielte ‚Careful You‘ (

‚We learned the secret of a kiss / and how it melts away all pain‘

), ‚Could You‘ mit seinen donnernden Bläsern, ‚Happy Idiot‘ und seine nervösen Hi-Hats oder das Rockstar-Manifest ‚Lazerray‘ – wäre ‚Seeds‘ ein Shampoo, würde es kräftigen bis in die Spitzen. Tunde Adebimpes Vocals stehen dem in nichts nach, sind Wort für Wort fest prononciert und beinahe schon übertrieben präsent. Bewährte Taktarten lassen nichts anbrennen, verlässlich kommen die Refrains stempeln und Verzerrungen und anderweitige Interferenzen erweisen sich entweder als harmlose Halluzinationen oder sind schlicht zu kurzlebig, um den Höhepunkt hinauszuzögern oder Eingängigkeiten zu unterdrücken.

Samen, Saat – lange Leitung: Hier keimt es längst aus allen Ritzen; die Krähen kommen zu spät und niemand braucht mehr etwas auszustreuen.

‚Rain comes down like it always does / This time, I’ve got seeds on ground‘

, prahlt der Titeltrack zu guter Letzt. Wenn ‚Seeds‘ etwas ist, dann eine Antwort. Ein Statement. Ein Aufbäumen – auch gegen die Konvention, die alte, inhärente Bedrohlichkeit. Einfach mal das Beste draus machen und den Umständen ein Schnippchen schlagen. Aber das ist ja nichts Neues mehr. Der massive, aber dennoch griffige Sound womöglich schon. TV On The Radio verschenken all das, was sie auf zurückliegenden Veröffentlichungen lieber für sich behielten. Das Ergebnis: Keinen Deut geheimnisvoll, aber trotzdem abenteuerlich. Wer sich da noch traut, in die Kommode der Genreschubladen zu greifen, soll sich seine Finger dort bitteschön grün und blau klemmen.

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