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Guidance

Russian Circles neues Album lebt von den Gegensätzen, die das Trio auf „Guidance“ geradezu zelebriert. Zudem zeigen die Herren aus Chicago einmal mehr wahrlich beeindruckend, wie emotional tiefgehend Rockmusik ganz ohne Gesang sein kann. Die drei Musiker haben das für ihr sechstes Album auch selbst so definiert: Kein Kopf, kein Reissbrett, keine hochtrabenden musikalischen Konzepte. Stattdessen sollten pures Bauchgefühl und die Fokussierung auf schier archetypische Gefühlslagen und deren Polaritäten die bestimmenden Prämissen für die Produktion sein: Leise und Laut, Schön und Hässlich, Einfach und Komplex, Beruhigend und Berauschend ist „Guidance“ tatsächlich auch geworden. Dabei spürt man dem Album an, dass keine Berechnung dabei ist, sondern man sich im besten Sinne vom Bauchgefühl hat leiten lassen.

Sieben Songs sind es dieses Mal, die Hand in Hand gehen und sich so nahtlos ergänzen, dass einiges dafür spräche, sie gar nicht einzeln darzustellen. Dennoch hat jedes Kapitel dieser akustischen Reise durch die Emotionen seine eigene Strahlkraft, was wiederum den Ausdruck des Ganzen potenziert. ‚Asa‘ leitet die Gefühlsexpedition sanft ein, geht mit gnadenlosen Trommeln und Riffs in einem präorgastischen Crescendo nahtlos in das härtere ‚Vorel‘ über, das sich in weitere Höhen emporschraubt. Was für ein Auftakt! ‚Mota‘ erforscht die begonnenen Klangregionen in cinematisch-bombastischer Dynamik weiter, ‚Afrika‘ verbreitet dagegen vor allem eine Wärme, die nicht dem ganzen Album zu Eigen ist und daher wie eine exotische Reise auf einen anderen Kontinent der Gefühle wirkt. Nomen est Omen. ‚Overboard‘ besticht durch fast minimalistische Prägnanz, ‚Calla‘ geriert sich wie ein metallisch-industrieller Marsch. Ein Marsch in Schwere, aber würdevoll, so wie ihn das Coverartwork darstellt. Es zeigt die vergilbte Fotografie eines Mannes, der zu seiner Exekution geführt wird. Stolz aufgerichtet geht er stoisch aber würdevoll seinem Schicksal entgegen. Eine Metapher, die die Mitglieder der Band nachhaltig beeindruckte, weil sie in ihr eine Analogie zur eigenen Sicht auf die Zukunft sah. Weder nihilistisch noch hoffnungsvoll, sondern das achtsam und erhaben erwartend, was die Zukunft unweigerlich bringen mag. Die gelassene Ruhe darüber und die Stärke, die darin liegt, strahlt dann auch der abschliessende Titel ‚Lisboa‘ aus. Triumphal. Feierlich. Das Leben ist das, was wir daraus machen. Und wenn wir es achtsam und mit erhobenem Kopf führen, dann macht es das Leben reich und schön.

Dass das Postrock-Trio aus Chicago zweifellos eine der derzeit besten Postrock-Bands sind, unterstreicht das neue Album einmal mehr. „Guidance“ ist ein wunderschöner Edelstein mit strahlenden Facetten, geschliffen mit künstlerischem Verständnis und ehrlichem Blick auf die gesamte Palette menschlicher Emotionen. So kann man wohl Schönheit definieren.

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