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Crossing The Divide

Merkwürdige Songtitel wie ‚()‘, ‚We Are Become As Strangers‘ oder ‚The Grand Rat Procession‘ und ein Storykonzept, bei dem es um Kommunikationsverlust, Rattenmenschen und einen Riss im Raum-Zeit Kontinuum geht, lassen schon erahnen, dass es sich bei „Crossing The Divide“ der amerikanischen Experimentiell-Progger The Benzene Ring nicht um Easy-Listening-Musik oder Kuschel-Prog handelt. Satte zehn Jahre hat es nach dem Debütalbum „Breathing Water In A Dream“ gedauert, bis die vier Musiker aus Brooklyn ihren zweiten Longplayer veröffentlicht haben. Dieser ist bei uns seit letztem Hebst Jahr als Download und seit Mitte Juni auch als CD erhältlich.

Die Band ist nach der chemisch-organischen Verbindung Benzol benannt, und organisch geht es auch auf „Crossing The Divide“ zu. Sehr sogar. Wilde und metallische Riffs, Gitarrengefrickel, dissonante Klänge, dann wieder leise melodiöse Passagen, komplexe Rhythmen und chillige Klangbasteleien sorgen für pausenlose Abwechslung und geben dem Album dennoch den nötigen Zusammenhalt. Man hat das Gefühl, als hätten sich King Crimson und Tool zusammengetan, um gemeinsam ein Album für Knifeworld aufzunehmen. Oder so ähnlich. Man fragt sich die ganze Zeit, warum man noch nicht zuvor von dieser Band gehört hat, ruft sich dann aber in Erinnerung, dass es die letzten zehn Jahre sehr ruhig um diese Musiker gewesen ist. Vielleicht haben sie die lange Ruhepause wirklich genutzt, um dieses außergewöhnliche Album zu konzipieren, diese merkwürdige aber doch hoch spannende Reise. Die Arbeit hat sich auf jeden Fall gelohnt, denn hier liegt ohne Frage eine der interessantesten Prog-Veröffentlichungen dieses Jahres auf dem Prüfstand.

Es ist tatsächlich schwierig, dieses komplexe Werk mit irgendeinem anderen zu vergleichen. Zu den schon oben erwähnten Einflüssen gesellen sich die üblichen Prog-Verdächtigen Yes und Porcupine Tree, aber in den besten Momenten entzieht sich „Crossing The Divide“ jeder Klassifizierung. Experimentell, spannungsgeladen, mit jeder einzelnen Note nach völlig neuen Horizonten greifend – genau so muss moderner Prog irgendwo zwischen Rock, Metal und Avantgarde klingen. Was The Benzene Ring hier in über 70 Minuten Spielzeit abliefern, ist schlicht und einfach atemberaubend.

Der schon erwähnte Titel ‚()‘ beschließt das Werk mit epischer Stille und besteht überwiegend aus dem dumpfen Heulen des Windes. Irgendwann schält sich ein Song-Fragment aus der Atmosphäre, und die vier Amerikaner fragen: ‚How can we say our goodbyes?‘ Am besten überhaupt nicht. Bleibt einfach da. Und wenn das dritte Album wieder so erstaunlich wird, warten wir notfalls auch zehn weitere Jahre darauf.

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