Rainier Fog

Auch auf dem dritten Album der DuVall-Phase geben sich Alice In Chains absolut wertkonservativ. Das ist natürlich für den Ex-Grunger, der mittlerweile auch die gemütliche 40 erreicht hat, sehr schön, da es den musikalischen Nostalgiebedarf bestens bedient – „gute alte Rockmusik wie vor 25 Jahren“ wird es wieder heißen, und an und für sich trifft das den Nagel auf den Kopf. Ist das aber genug für eine Band, die als eine der Speerspitzen des Grunge genau diese Einstellung und die damit verbundenen Bands attackierte und abzulösen trachtete?

Nun, um dem gleich mal den Wind aus den Segeln zu nehmen: außer unschönen Spätfolgen wie Creed, Nickelback und Stone Sour hat die ganze Grunge-Sache eh nichts gebracht – außer einer unglaublich traurigen Statistik an hochtalentierten, heute bereits toten Musikern. Schon Mitte der 1990er war Grunge wieder am Ende, fast alle Protagonisten hatten sich aufgelöst – mit Ausnahme der heute immer noch aktiven Pearl Jam. Die mit dem Grunge-Hype aber eh‘ nix zu tun haben wollten und mit ihrer Verweigerungskampagne zu „Vitalogy“ vermeintlichen kommerziellen Selbstmord begangen hatten. Aber, wie das im Musikgeschäft so ist, vor einigen Jahren rollte im Zuge des Erfolges oben erwähnter „Neo-Grunge“-Bands auch bei den Seattle-Helden die Reunion-Welle an. Und Alice In Chains machen ihren Job bestimmt nicht schlechter als andere Wiedervereinigte – man darf eben von einer Band aus Mittfünfzigern nicht erwarten, die musikalische Dringlichkeit und Energie der eigenen Jugend zu versprühen.

Was man hingegen erwarten kann, ist, dass nach drei Alben der „neue“ Sänger sich endlich mal als wertvolle Ergänzung und kreative Präsenz zeigen darf. Doch das bleibt leider erneut aus, Mike DuVall darf auch hier nicht mehr als den Staley-Ersatz geben. Wie auch, wenn die Musik auch keine nennenswerten kreativen Überraschungen zu bieten hat? Alice In Chains sind im Prinzip musikalisch dort stehengeblieben, wo sie vor ihrer Trennung mit dem 1995er „Tripod“-Album gelandet waren – mit dem einzigen Unterschied, dass das aktuelle Album „Rainier Fog“ ziemlich unangenehm auf Radiotauglichkeit gebürstet wurde – etwas, das man den drei „Originalalben“ keinesfalls vorwerfen konnte. Einen derart penetrant auf ohrenfreundlich Refrain wie ‚Never Fade‘ oder das komplette ‚Maybe‘ mit seinem „Twilight“-Soundtrack-Flair hätten vermutlich sogar die vielgescholtenen Nickelback als ein klein wenig zu offensichtlich in die Tonne gekloppt. Wo ein Song wie ‚Them Bones‘ mit seiner Klaustrophobie einst tatsächliches physisches Unwohlsein auslösen konnte und ‚We Die Young‘ selbst nach 27 Jahren noch verflucht heavy klingt, gibt es heute „ganz-nett“-Stücke wie ‚Drones‘. Die haben zwar, wie von der Liste abgelesen, alles , was man so mit Alice In Chains verbindet – die zweistimmigen Vocals, das typische Cantrell-Riff, ein Wah-Wah-schwangeres Solo und den „unerwarteten“ Rhythmuswechsel, alles da. Aber emotional passiert hier rein gar nichts, und schon gar nicht irgendwas Unangenehmes. Da passt auch die keimfreie Produktion perfekt ins Bild, die gerade den Gitarren jegliche Aggression nimmt und das komplette Material auf dem gleichen Dynamiklevel vor sich hindümpeln lässt.

Natürlich ist „Rainier Fog“ kein kompletter Bockmist geworden. Dafür ist das Ganze handwerklich zu professionell gemacht, und Jerry Cantrell kann einfach Songs schreiben. Wie Soundgarden mit „King Animal“ oder zuvor Kiss mit „Psycho Circus“ haben Alice In Chains aber mit „Rainier Fog“ ein Album gemacht, das hauptsächlich für Rock-Nostalgiker gedacht ist. Kommerziell wird das mit Sicherheit wieder funktionieren, für eine Band, die aber gerade für ihre Unkommerzialität auch Nichtfans jede Menge Respekt abverlangte, ist das von Album zu Album penetrantere Abrutschen in den Bloss-niemand-wehtun-Mainstream ein herbe Enttäuschung.

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