Psycroptic
Bei Tasmanien denkt man unwillkürlich an den berühmten Beutelteufel Taz, der von den Warner Brothers als Mitglied der Looney Tunes ein filmisches Denkmal im Zeichentrick-Genre gesetzt bekam. Woran man mit Sicherheit nicht denkt, ist Death Metal. Wobei man von Psycroptic von der australischen Insel ohnehin nicht behaupten kann, daß sie eine typische Death-Metal-Band sind, ganz abgesehen vom exotischen Herkunftsort. Nur einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Fans des technischen Death-Metal-Underground ist das originelle australische Quartett ein fester Begriff. Gegründet 1999 in Hobart, der Hauptstadt der bevölkerungsarmen Insel hat die Band ab Mitte der 2000er Jahre Aufmerksamkeit erlangt, unter anderem mit Touren mit Cannibal Corpse, Nile, Satyricon, Hate Eternal und Spawn of Possession. Die bisher fünf erschienenen Alben haben in einschlägigen Magazinen für Aufhorchen gesorgt, Album Nummer sechs wird dem wohl in nichts nachstehen.
Das schlicht „Psycroptic“ betitelte Studioalbum ist ein weiterer, festigender Schritt der Band zu einer absolut einzigartigen Prog-Death-Band. Die Produktion klingt noch voller, noch mächtiger als die des Vorgängers „The Inherited Repression“ von Nuclear Blast, gleichzeitig hat sich der Gesang noch ein Stück weiter weg von dem entwickelt, was man an Growls eigentlich erwarten würde und wie Psycroptic früher selber sangen. Denn „echte“ Growls gibt es bei Psycroptic nicht. Der Gesang von Frontmann Jason Peppiatt schwankt eher zwischen schrillen Screams und hardcorigen Shouts. Die Musik setzt allerdings ein zweifelloses Zeichen als progressiv-technischer Death-Metal. Also die Instrumentierung und der Sound einer Death-Metal-Band, das komplexe Songwriting jedoch inspiriert von dem, was man aus Progressive Rock oder Jazz Fusion kennt: Ungewöhnliche Taktarten und -wechsel, ausgefallene und ausgefeilte Riffs, anspruchsvolle Leads und Tempowechsel. Ähnlich wie die bekannten Cynic hat sich der Vierer von dem, was eine Death-Metal-Band nach dem Klischee darstellt ein erhebliches Stück wegentwickelt – und das ist spannend und innovativ. Cynic haben einen ähnlichen Weg beschritten und klingen ähnlich eigentümlich – auch wenn die Musik der verschwägerten Amis nur noch schwer als Death Metal bezeichnet werden kann und deshalb nicht mehr im gleichen Genre angesiedelt sind. Psycroptic sind immer so was von Metal, daran läßt das neue Album keine Sekunde lang einen Zweifel. Songs wie das vorab präsentierte, aufregende ‚Cold‘ mit seinem Jenseits-Drumming und schrill-genialen Riffs oder das ebenfalls spektakuläre ‚Sentence Of Immortality‘, das durch den Gesang Black-Metal-Beklemmung auslöst und gleichzeitig viel, viel mehr ist, sprechen Bände davon, wie kreativ die Tasmanischen Teufel sind.
Bands wie Gorguts, Death oder Meshuggah stehen mit ihren Fans freundlich vertraut winkend abseits und applaudieren den technischen Fertigkeiten und dem abgefahrenen Songwriting der Australier. Es ist hart, es ist extrem, nicht nur im Sinne von Power. Im Bauch schwingt noch was anderes mit als derbe Beats und Aggression, wenn man das Album auf sich wirken lässt. Es strahlt eine schwer zu beschreibende, sehr eigentümliche Emotionalität aus, die sich in den Schnittmengen von düsterer Beklemmung, warmem Wohlgefühl und aufregender Exzentrik bewegt. Wer’s gerne extrem hart und anspruchsvoll-progressiv mag, kommt an diesem Album 2015 nicht vorbei – auch oder gerade weil man seine komplexe Klasse nicht auf die Schnelle ergründen kann.