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Paranormal

Wie das nun mal so ist, wenn man einen Vampir zu sich einlädt – er ist nur schwer weieder loszuwerden. So muss es auch Alice Cooper mit seinem Hollywood Vampires-Projekt mit Johnny Depp und Joe Perry ergangen sein. Was ein Spaß unter Freunden sein sollte, wurde seit 2015 immer mehr zu Alices Hauptbeschäftigung. Weshalb sehr zum Unbill der Fans sechs lange Jahre seit dem letzten Studioalbum „Welcome 2 My Nightmare“ vergangen sind.

Aber, soviel vorweg, die Inspiration ist in dieser Zeit keineswegs abhanden gekommen. Die zwölf neuen Songs von „Paranormal“ liegen ziemlich exakt zwischen dem theatralischen Vorgänger und dem schlichten Garagenrock des 2005er Albums „Dirty Diamonds“. Im Vergleich zum recht modernen und experimentellen Vorgänger gibt’s hier zwar weniger Überhits und auch weniger Abwechslung – das dürfte dem konservativen Flügel der Cooper-Fans aber gar nicht mal so schlecht schmecken. Alice erlaubt sich aber auch im straighteren musikalischen Gewand selbst 48 Jahre nach dem Debütalbum „Pretties For You“ keine Ausfälle. Die Produktion – einmal mehr von Bob Ezrin erledigt – hätte womöglich ein paar Ecken und Kanten mehr vertragen können, speziell, wenn z.B. in ‚Fireball‘ und ‚The Sound Of A‘, die beide Ur-Basser Dennis Dunaway mitgeschrieben und eingespielt hat, ein leicht psychedelisches Element durchscheint, aber das ist letztendlich pure Geschmackssache. Denn die Songs sind durch die Bank weg gelungen und werden jedem Verehrer von Tante Alice wunderbar beigehen. Zu Dunaway gesellen sich mit Michael Bruce und Neal Smith auch noch die beiden anderen Überlebenden der Alice Cooper-Urbesetzung und steuern mit ‚Rats‘ auch gleich einen der Höhepunkte des Albums bei. Beim Rest der Stücke trommelt übrigens ein junger irischer Nachwuchsdrummer namens Larry Mullen Jr., dessen Band U2 man möglicherweise auch im Auge behalten sollte.

Den Opener und Titeltrack hat Roger Glover mitgeschrieben und gleich auch den Bass eingespielt, und auf ‚Fallen In Love‘ gibt’s nicht nur eine Menge Textzitate aus Coopers Vergangenheit, sondern auch unüberhörbar die Gitarre von Billy Gibbons. Apropos Textzitate: ‚Dead Flies‘ scheint textlich die 2017er Fortsetzung von ‚Generation Landslide‘ zu sein – musikalisch allerdings ein weiterer knackiger Sixties-Rocker mit Yardbirds/Pretty Things-Flair. Der Ohrwurm ‚Holy Water‘ ist ein Cover der Country-HipHop-Crossover-Truppe Villebillies und in der Cooper-Version eine coole Swing-Nummer im Stil von ‚Last Man On Earth‘ oder auch ‚Some Folks‘. Lediglich die Hardrock-Fans, die Alben wie „Hey Stoopid“, „Raise Your Fist And Yell“ und „Brutal Planet“ bevorzugen, gehen wieder einmal leer aus – aber offen gesagt ist auch nicht mehr damit zu rechnen, daß Alice sich außer in Liveshows dieser Phase noch einmal wirklich widmen wird.

Unbedingt sollte man als Cooper-Fan zur Limited Edition greifen, und nicht nur, weil das eigentliche Album mit 34 Minuten Spielzeit etrem kurz ausgefallen ist. Mit den coolen Rock’n’Roll-Songs ‚Genuine American Girl‘ und ‚You And All Your Friends‘ gibt’s auf der Bonus Disc nämlich noch zwei weitere Songs mit der originalen Alice Cooper-Band, und die zählen dann tatsächlich zu den Highlights des Albums. Dazu kommen sechs 2016er Livetracks aus Columbus – ‚No More Mr Nice Guy‘, ‚Under My Wheels‘, ‚Billion Dollar Babies‘, ‚Feed My Frankenstein‘, ‚Only Women Bleed‘ und ‚School’s Out‘. Die sind zwar auch auf jeder anderen Cooper-Livescheibe seit Erstveröffentlichung drauf, knallen aber durchaus ordentlich, machen Laune und somit genau das, was Bonustracks nun mal sollen.

Auch wenn „Paranormal“ das spektakuläre Kunststück des Vorgängers, die Vergangenheit kongenial mit der Gegenwart zu mischen, gar nicht erst versucht, ist auch Coopers Achtundzwanzigste ein ziemlich geiles Rock’n’Roll-Album mit dem typischen Augenzwinkern geworden. Das soll ihm erst einmal einer seiner Altersgenossen nachmachen – von der jüngeren Konkurrenz ganz zu schweigen.

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