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Nothing Has Changed.

‚Nothing Has Changed.‘ Für sich genommen eine völlige Fehleinschätzung, ruft man sich vor Augen, welche stilistischen Hakenschläge David Bowie über die Jahrzehnte unternommen hat, um sich wiederholt in Vorreiterposition zu manövrieren. Die ultimative Ausstellung zum Künstler, die im V&A-Museum in London ihren Anfang nahm und in diesem Jahr auch in Bowies zeitweiser Heimat Berlin gastierte, legt Zeugnis über sein wahrlich weltbewegendes Wirken ab. Seit seiner geburtstäglichen Rückmeldung Anfang 2013 regnet es wieder Ruhm und die Plattenindustrie lobpreist – nicht ganz uneigennützig – das Schaffen Bowies mit dem Release von Neuauflagen und Werkschauen. Im September noch erschien mit ‚Sound + Vision‘ der letzte fette diskographische Rundumschlag, nun folgt mit ebenjenem ‚Nothing Has Changed.‘ der nächste, vermarktungsstrategisch möglicherweise smartere Twist.

Wo ‚Sound + Vision‘ nichts anderes war als ein verwegener Insider-Spaziergang im muffigen Archiv, mal hier, mal dort auf der Suche nach Fortbildung ins staubige Regal greifend, stellt ‚Nothing Has Changed.‘ die größten Schlaglichter der Diskographie zu Porzellan und Tafelsilber in die beleuchtete, mit Spiegeln ausgekleidete Wonzimmer-Vitrine. Dass sich nun ‚Nothing Has Changed.‘ von seinem ersten und jünsten Track an Schritt für Schritt wohlbedacht weiter in die Vergangenheit vorarbeitet und damit genau gegenläufig vorgeht, ist symptomatisch. ‚Sue (or In A Season Of Crime)‘ heißt jener erste Track, auf dem sich Bowie an der Hand von Maria Schneider und Orchester in die schwierigen Vegetationszonen des Jazz wagt – und so bald nicht mehr dort rauskommt. Saxo-Brassband-Pomp, nervöses Schlagwerk, Irrsinns-Vibrato on top und fertig sind sieben Minuten E-Musik-Hölle. Was man bei anderen Künstlern als Anflug von Größenwahn einstufen und möglicherweise gar geringschätzen würde, schluckt man bei Bowie einfach und staunt.

Von da an geht es mit Brian Eno und Tony Visconti als Wingmen weiter durch ein feudales Greatest-Hits-Spalier, tiefer und tiefer in die Historie, immer mal wieder aufgefüllt bis angereichert von forschen Re- und zurückhaltenden Alternate-Mixen, die in einem geradezu konfusen Pet Shop Boys-Mashup von ‚Hallo Spaceboy‘ gipfeln, dem man sich einfach nicht entziehen kann. Am Ende steht – neben ein paar anderen alten beat-beeinflussten Schätzchen – ‚Liza Jane‘ aus dem Jahre 1964, damals noch aufgenommen als Davie Jones, den Anfang machen Stücke, die jünger sind als die Jahrtausendwende (Stichwort ‚Heathen‘ – ein sträflich unterbewertetes Album!) und bisher von keiner Bowie-Compilation abgedeckt wurden. ‚Sunday‘, aus dessen Bridge ein Vers für den Titel der Sammlung herhielt, zählt gleichwohl nicht dazu. Dazwischen drängen sich erwartungsgemäß die Hits; von Meilensteinen wie ‚Starman‘ – man rufe sich den wegweisenden Top Of The Pops-Auftritt von 1972 in Erinnerung – oder ‚Space Oddity‘, dem Durchbruchs-Song schlechthin, bishin zum neuzeitlichen ‚New Killer Star‘ vom ‚Reality‘-Album bedient ‚Nothing Has Changed.‘ alle Geschmäcker – und fängt sämtliche (auch stimmliche) Wandlungen des Chamäleons ein. Hinzu kommen spannende Raritäten in maßvoller Dosierung, wie etwa ‚Let Me Sleep Beside You‘ und ‚Shadow Man‘, die Teil des nie offiziell veröffentlichten Albums ‚Toy‘ aus dem Jahr 2000 … sind? … waren? … geworden wären? Man weiß es nicht. Was man aber weiß: Die komische blaue ‚Best Of Bowie‘ von 2002 kann weg.

Je nach Hitbedarf und/oder verfügbarem Abspielgerät kann der Hörer zwischen 3CD-, 2CD oder Doppel-Vinyl-Ausgabe wählen. Die volle Ladung bietet die 3-CD-Edition; jede weitere Variante dampft die Auslese weiter ein, sodass spätestens auf den zwei Schallplatten sämtliche Tracks hinlänglich bekannt und beliebt sein dürften. Wann könnte man treffender von der berühmten Crème de la Crème sprechen als im Falle dieser Compilation? Alle Bündel kommen mit verschiedenen Coverartworks gleichbleibender Motivkonstellation: David Bowie blickt in einen Spiegel und nimmt je nach Schaffensphase ein anderes Gesicht, eine andere „Ausgabe“ seiner selbst wahr. Danke, Jonathan Barnbrook, aber mal ehrlich: als bräuchte es dieses Jahr noch mehr Fingerzeige auf das Bowie-Lebenswerk und seine Gewaltigkeit. Schön ist’s aber allemal. Klappt man die Flügel der aufwändig gestalteten Gatefold-Box auf, prangt dort die unumgängliche Richtigstellung – und mit ihr die nächste Zeile von ‚Sunday‘: Everything has changed. Aus nichts wird alles, aus allem nichts. Es scheint, als könne Bowie selbst mit dem Königspaar der Gegensätze ungehindert seine Spielchen spielen.

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