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Nihiling

Wenn man ein neues Album in die Hände bekommt, muss man zunächst einmal seine Erwartungshaltung an diesen Tonträger klären. In manchen Fällen sorgt dabei die schlichte Unbekanntheit des Interpreten für den Hörer oder Rezensenten dafür, dass diese sich auf ein Minimum beschränkt und vielleicht lediglich auf äußerlichen Infos wie dem Cover, dem Genre oder Hinweisen, bzw. Empfehlungen beruhen. Gerade in letzterem Fall muss sorgfältig ausgelotet werden, von welcher Quelle welche Information über welche Art von Musik kommt. Im Falle der Hamburger Post-Rock Band Nihiling sind diese singulären Faktoren, die die Erwartungshaltung prägen, schlicht durch eine Referenz zu der 2011 aufgelösten Band Oceansize aus Manchester definiert worden. Und die muss man erstmal rechtfertigen.

Der Opener ‚Verylargetelescope‘ beginnt ruhig und atmosphärisch, mit Piano, Trommeln, Synths und Gitarre und steigert sich langsam in eine etwas straightere und akzentuiertere Spielweise derselben Line wie am Anfang. Keine großartige Innovation oder Finesse, das Thema wirkt nach viereinhalb Minuten dann doch etwas ausgelutscht, aber für ein intro vollkommen OK. Auffällig dabei ist außerdem, dass die Produktion der scheppernden Teile des Schlagzeugs extrem stumpf gehalten ist, Becken klingen nicht aus, wirken abgeschnitten und rotzig, das will gar nicht so recht zu der gewünschten Atmosphäre passen. ‚Plot‘ an zweiter Stelle macht sich schon besser. Gesang kommt dazu, der gesamte Song ist deutlich variabler, profitiert von vielen verschiedenen Gitarrenlicks, bei denen unterschiedlichste Effekte für gute Abwechslung sorgen. Nach knapp zweieinhalb Minuten ist dann die erste winzige Nuance einer Verzerrung zu hören, die jedoch nicht weiter expandiert und stattdessen Platz macht für eine emotionale Frauenstimme mit ruhiger Begleitung und Radiohead – mäßiger Computerpercussion. Der Song spitzt sich weiter zu und nachdem eine weitere Phase mit Beckeneinsätzen, die so plump und fad klingen wie das Luftablassen eines Fahrradreifens, überwunden ist, kommt doch tatsächlich eine Art Postrock-Extase zum Vorschein. Diese ist sauber gespielt, gut mit Gesang überzogen und findet ein angenehm harmonisches, melancholisches Ende. ‚Do Not Make Me Axe You Again‘ gestaltet sich zunächst deutlich minimalistischer. Viel Gesang, dezente Gitarrenspuren und Cyberpercussion alternieren dann aber doch mit sauberen, freien Trommelrhythmen und erden in einem für Nihiling – Verhältnisse brachialen Refrain. Kurze Zwischenbilanz in Abhängigkeit von der Erwartungshaltung: An sich kein schlechter Anfang für ein Album, nette atmosphärische Postrock Elemente sind zu finden, der Abwechslungsreichtum ist durchschnittlich, aber von hochvirtuosen instrumentalen wie vocalen Eskalationen oder überhaupt mal einer straighten Akkordfolge, die vom Zustand des verträumten Beinwippens zu unwillkürlichen Kontraktionen ganzer Abschnitte der Skelettmuskulatur und damit mindestens einem energischen Kopfnicken führen, fehlt jede Spur. Es fehlt dem Album schlicht an Intensität.

Weiter im Text. Die Tracks vier und fünf beschreiben sich selbst als Extrapolation der von mir eben aufgestellten Mangelfunktion. ‚Hips‘ ist dabei mit der sowohl klanglich als auch harmonisch anstrengenden Kombination aus Synth und Gesang sogar ernsthaft unangenehm zu hören. Der lang ersehnte Umschlag kommt bei ‚Tragic‘, der sich fast vier Minuten lang als schnöde Radioballade dahin schleppt, bis er endlich zielgerichtet intensiviert wird, wobei an dieser Stelle sogar über die Kompressorbecken hinwegzusehen ist, so herzlich willkommen ist diese extatische Entwicklung. Der vorletzte Titel ‚The Universe Is Something That Happens‘ überrascht noch einmal mit einem unorthodoxen Aufbau. Ein gutes Maß an Variabilität und Unvorhersehbarkeit überzeugt hier über knapp sieben Minuten. Endlich wird es auch mal böse. Bedrohlich schwere Rhythmen, beladen mit donnernden, verzerrten Riffs werden von vielen netten Details umspielt und rufen das erste Mal ein ernsthaftes Kopfnicken hervor. An dieser Stelle wird Nihiling dem Vergleich mit Oceansize zum ersten Mal einigermaßen gerecht. Der letzte Song ‚The Lesson Of Being Who We Are‘ braucht nach der vorausgegangenen Eruption erstmal eine ganze Weile, um sich wieder aufzubauen. Das machen die Hamburger gut, die Atmosphäre stimmt, die Grundidee wird beibehalten, erweitert, staut sich auf, verebbt wieder hin zu einer Pianolinie mit dem fragilen, weiblichen Gesang und erhält dann nochmal einen Schub, der aber eher wie ein letztes Aufbäumen wirkt und an das vorherige nicht heranreichen kann. Ein sauber gespieltes, lang gezogenes Ritardando bringt den Song und damit das Album zuende.

Was die Hamburger Postrocker von Nihiling auf ihrem dritten, selbstbetitelten Studioalbum präsentieren ist keineswegs schlecht. Das Spektrum innerhalb dieses lockeren Genres ist ungeheuer groß, die Erwartungen und Ansprüche des einzelnen daher nur in den seltensten Fällen allumfassend. Die Kategorisierung in die Ecke von Oceansize ist, im Nachhinein betrachtet, schlichtweg falsch und weckt damit beim Rezensenten unverhältnismäßige Erwartungen. Insofern bleibt es mir nur zu sagen, dass die wenigen eskalativen Passagen auf dem Album durchaus Potential haben, insgesamt aber nicht von ausreichender Abundanz sind. Das Dahingeplätschere, das weite Teile der Platte bezeichnet ist nett, aber nicht umwerfend und der Gesang im allgemeinen könnte sich durchaus auch stellenweise einer leichten Intensivierung unterziehen und etwas abseits des zarten Elfensingsang agieren. Wie sehr doch eine falsche Referenz die Objektivität beeinflussen kann.

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