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Necroblation – Death Metal auf den Kopf gestellt

Gut zwei Jahre sind vergangen, seit die drei Buddys aus Lausanne ihr Debütalbum „Ablation Of Death“ in Eigenregie herausgebracht haben. Eine Zeit, in der so einiges passiert sein dürfte, besonders bei einer jungen und talentierten Nachwuchsband mit dem ersten Album. Genau das bestätigen die Jungs auch nicht ohne Stolz, aber vor allem mit einer natürlichen und sympathischen Dankbarkeit:

„Die Rückmeldungen auf das Album selbst waren sowohl von den Fans als auch den diversen Webzines recht positiv. Leider ist es als kleine Band gar nicht so leicht, an Auftritte heranzukommen und wir hätten gerne öfter live gespielt. Aber ein paar nette Gigs hatten wir trotzdem, unter anderem durften wir für die Death Metal Meister Krisiun und Misery Index eröffnen und wir waren beim Elements of Rock 2013 dabei. Wir hatten bis dahin nie vor einem größeren Publikum gespielt, das Konzert und die Fans waren super und es war klasse, soviele großartige Leute kennenzulernen.“

In der Zeit zwischen den beiden Alben hat Sänger und Gitarrist Jonathan Schmutz etliche Monate in den USA gelebt, während seine beiden Freunde weiterhin in der Schweiz am neuen Album arbeiteten. Auch wenn solche Experimente inzwischen durch die Möglichkeiten der Technik und des Internet nicht mehr unmöglich sind, trotzdem eine sehr spannende Sache. Mit drei unterschiedlichen Charakteren ein Album schreiben, aufnehmen produzieren auf zwei Kontinenten klingt aber für eine kleine Band ohne den Rückhalt eines Labels oder professioneller Technik dennoch ambitioniert. Zeitverschiebung, Jobs und Studium und Jonathans Besuch einer christlichen Musikschule in Chicago klingen nach schier unüberwindbaren Hürden. Ganz abgesehen von den ungezählten Stunden voller Herzblut, die Bands wie Necroblation in ihre Musik stecken. Dennoch haben es die drei jungen Schweizer hingekriegt, wie die solide Veröffentlichung beweist. Trotzdem fragt man sich natürlich, wie genau sie das hingekriegt haben.

„Ich war eine Weile in der Nähe von Chicago – einfach weil ich mal was anderes machen wollte“ plaudert Jonathan los. „Ich hatte mich entschieden, eine Musikschule einer Kirche dort zu besuchen. Ich steh zwar nicht so auf Worship-Music, aber das Jahr bestand ja nicht nur daraus und so kann ich sagen, daß es eine der besten Entscheidungen war, die ich je getroffen habe. Das Album hatten wir schon vor meiner Abreise aufgenommen und danach habe ich ab und an mit Greg geskyped, um das Album fertig zu kriegen. Das war echt ’ne ziemliche Herausforderung, weil dazu sehr viel und klar kommunizieren werden musste. Wir wollten schließlich nicht, daß es beim Ergebnis zu Missverständnissen kommt. Für unser neues Album „Stab Your Self“ hatten wir die Hälfte der Songs schon geschrieben, als unser Debüt im März 2013 erschien. Mit den Aufnahmen haben wir dann im Juni/Juli 2014 begonnen, weil Jonathan ja im September in die USA reisen wollte. Wir haben uns trotzdem Zeit gelassen um das bestmögliche Ergebnis zu kriegen. Wir wollten das Album ohnehin nicht vor Jonathans Rückkehr im Juni dieses Jahres veröffentlichen. Mixing und Mastering hat dann in Jonathans Abwesenheit das MathLab Studio in Italien übernommen. Wir haben dann wie gesagt oft mit Jonathan geskyped um seine Meinung zu den ersten Mixes zu hören. Das war nicht ganz einfach, vor allem wegen des Zeituntschieds zwichen Amerika und der Schweiz. Aber am Ende hat ja alles geklappt, wir sind sehr stolz drauf und konnten es nicht erwarten, es unseren Fans zum anhören zu präsentieren.“

1.jpg „Das Todestrio hat mit dem zweiten Album einen großen Schritt nach vorne gemacht. Das ist zwar bei einer jungen, talentierten Band vorhersehbar, aber dennoch nicht selbstverständlich. Die großen musikalischen Vorbilder sind die gleichen geblieben, aber man hat auch neue Musik gehört. Man reift, macht neue Erfahrungen, denkt über sein Leben nach. Das alles fließt in die Musik ein und verabreicht ihr neue Facetten. Und dann ist da ja auch noch ein gewisser sportlicher Ehrgeiz. Natürlich gibt es immer konkrete Dinge, die man anders oder besser machen würde, natürlich möchte man allgemein ein mindestens so gutes Album Nummer Zwei machen. Selbstkritik und das Annehmen von Rückmeldungen sowohl von Freunden und Familie, aber auch Fans und Presse können da eine große Hilfe sein – wenn man sich denn darauf einlässt und es schafft, die Feedbacks auch zu nutzen. Necroblation können das und „Stab Your Self“ hat davon profitiert.

„Wir haben viel Feedback bekommen und sind der Meinung, daß wir mit dem neuen Release einen Schritt nach vorne gemacht haben. Wir haben versucht, mehr Variationen und runde Übergänge reinzukriegen und nicht nur voll durchzuknüppeln. Jonathan hat sich bei den Vocals sehr viel Mühe gegeben, damit er besser verstanden wird und Yannick hat Schlagzeug-Stunden genommen um vor der Aufnahme sein Spiel zu verbessern. Außerdem haben wir uns mehr auf den Groove als auf die pure Härte konzentriert. Es gibt viel mehr grovige Stellen als Blastbeats im Vergleich zum Vorgänger. Aber keine Sorge, es gibt noch genügend und auch schön schnelle Abschnitte. Diejenigen, die sich unser Lyric-Video zu ‚Gehenna‘ angesehen haben wissen das. Und alles in allem ist es natürlich ein Album, das nach Necroblation klingt. Wir wollten zudem eine bessere Produktion, einen besseren Sound für das Album. Natürlich sind wir auch auf unser Debüt stolz, aber wir hatten das damals mit einem guten Freund zusammen gearbeitet, der wenig Erfahrung hatte. Wir waren damals die zweite Band überhaupt, die er aufnahm, abmischte und masterte. Dieses Mal hat er nur die Aufnahme gemacht, Mixing und Mastering hat dann Jonathan Mazzeo erledigt – und wir sind mit dem Endergebnis wirklich sehr zufrieden. Man kann ohne Probleme jedes einzelne Instrument raushören und der Sound ist schön organisch geworden, was sehr gut zu unserer Musik passt. Eine moderne und überproduzierte, lahme Produktion war das Letzte, was wir wollten!“


3.jpg „Sänger Jonathan zeigt sich verantwortlich für die Texte bei Necroblation. Und die sind wie bei jedem Künstler von seinen persönlichen Erfahrungen, Werten und Reifungsprozessen geprägt, gerade in jungem Alter. Und natürlich auch vom bereits erwähnten christlichen Glauben, der für den jungen Schweizer eine bedeutende Rolle spielt. Und so steht natürlich auch die Frage nach Glaubenskrisen, zerbrochenen Beziehungen und anderen schwierigen Lebensumständen schnell im Raum. Jonathan zeigt sich sehr offen und gibt eine sehr persönliche Innensicht seines Lebens und seines Glaubens. Für die meisten Menschen aus christlichen Kreisen schließt sich zudem nicht nur aus, daß man tief gläubig sein kann und gleichzeitig ein leidenschaftlicher Metalhead. Es ist geradezu ein Widerspruch, für den man sich bestenfalls rechtfertigen muss. Und dann gibt es auch noch innere Spannungen. Die Jungs wissen davon ein Lied zu singen, von den verbalen Auseinandersetzung mit eigentlich Gleichgesinnten.

„Mein Leben war in den letzten Jahren nicht immer ganz einfach, aber man lernt und reift ja auch an Veränderungen und Erfahrungen. Ich habe viel über meine Wut, Revolten und harten Zeiten geschrieben. Auch über meine Schwierigkeiten mit der Kirche im Allgemeinen. Lange fühlte ich mich zwischen der Metal-Welt und der „christlichen Welt“ hin- und hergezogen. Ich habe unter Frust versucht, beides irgendwie in Einklang zu bringen und mir selber treu zu bleiben. Meistens fühlte es sich so an, als ob ich keiner der beiden Welten meinen Platz hätte. Schließlich habe ich mich entschlossen, alles in Gottes Hände zu legen. Seither habe ich einige sehr wertvolle Wahrheiten für mich selbst verstanden und kann nur über Gottes Treue staunen. Alles in Allem kann man also sagen, daß das Album eine wichtige Übergangsphase in meinem Leben repräsentiert.“

Bassist Greg hat bezeichnet sich selbst nicht als Christ, aber als gläubigen Menschen. Er hat seine eigene Sicht zum Thema, trägt die Band-Vision aber mit:

„Ich muss eine Sache vorausschicken. Ich würde mich selbst nicht als Christ bezeichnen, aber dennoch als gläubigen Menschen. Ich habe eine etwas universelle Weltsicht und „Glauben“ drückt sich für mich anders aus als für Yannick oder Jonathan. auch wenn ich an die Existenz eines Gottes glaube. Ich habe also absolut keine Probleme damit, meine Art des „Glaubens“ und die Musik dich gerne spiele und höre, unter einen Hut zu bringen. Wenn irgendwelche sogenannten „Christen“ das kritisieren oder mich verurteilen, dann kümmert mich das nicht. Ich finde, daß viele Menschen die grundlegendste und wichtigste Botschaft von Jesus Christus vergessen haben: Einander zu lieben. Trotzdem ist es mir wichtig, als „christliche Band“, die wir sind, ein positives Bild zu vermitteln. Es wäre sicherlich nicht sehr glaubhaft, sich dann als völlige Suffköpfe zu präsentieren. Wir sind Metalheads und wir trinken auch mal gerne ein Bier, so ist das nicht. Aber das was man sagt und das was man tut, sollte auf eine gewisse Art schon in einem Gleichgewicht sein. Authentisch sein ist mir so gesehen auch sehr wichtig.“

Der drastisch-skurill anmutende Songtitel ‚Cut My Foreskin‘ handelt genau von diesem Thema, wie Schmutz das Thema vertieft:

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„Als ich dieses Lied geschrieben habe, wollte ich damit meine Ablehnung gegenüber einem bestimmten „christlichen“ Lebensstil zum Ausdruck bringen. Nämlich gegenüber Christen, die sehr gesetzlich leben und den Sinn von Gottes Gnade nicht verstanden haben. Ständig verurteilen sie die Menschen um sich herum, deren Glauben sie eigentlich teilen. Sie wollen alle von IHRER engstirnig-gesetzlichen Sicht des Christentums überzeugen, mehr als das. Sie wollen, daß alle anderen sie genauso leben. In der Bibel gibt es im Galaterbrief diese Geschichte aus der christlichen Urgemeinde. Manche waren der Meinung, daß sie weiterhin dem Gesetz folgen und sich beschneiden lassen müssten. Dabei vergassen sie völlig, daß Jesus durch seinen Tod am Kreuz das Gesetz überwunden hatte. Es ging nicht mehr um das einhalten des Gesetzes, sondern um die Annahme von Gottes Gnade. Der Songtitel „Beschneide mich“ ist auf diesem Hintergrund also ein provokatives Statement, das genau darauf abzielt. Nicht mehr das Befolgen von Geboten und Verboten macht und rechtschaffen, sondern Gottes Gnade.“

Überhaupt ist das Album voller Metaphorik und Symbolismus. Das beginnt beim Albumtitel, der nicht wie schnell verwechselt “Stab Yourself” sondern “Stab Your Self” lautet. Die Vorstellung, sich selbst zu erstechen, schockiert erst einmal. Genau das, was die drei jungen Herren auch bezwecken. Jonathan Schmutz:

„Wenn ich ein Death Metal Album höre, möchte ich, daß es mir einen ordentlichen Schreck einjagt – das muss ne intensive Sache sein! Ich höre immer noch viel extreme Metal Bands wie Sodom, Vengeance Rising, Dying Fetus, Opprobrium oder Defeated Sanity, um nur einige zu nennen. Ich mag den Old-School-Kram lieber, weil der einfach viel roher und wütender klingt als der ganze moderne Kram. Da finde ich selten was, was mir wirklich gefällt. Das ist auch mein oberstes Ziel, wenn ich selber schreibe: Es soll so intensiv und leidenschaftlich klingen wie möglich.“

Aber natürlich kokettiert man mit Death-Metal-Ästhetik, aber die soll nie Selbstzweck sein. Die Jungs wollen ihre Hörer zum Nachdenken bringen und das kommt dann womöglich, wenn er der erste Schock verdaut ist. Zudem soll die auch die Stimmung widergegeben werden. Jonathan bestätigt die Doppeldeutigkeit des Albumtitels:

„Da liegst du richtig – es gibt eine zweite Bedeutung. Der Titel meint in erster Linie den „Tod des Selbst“ Die Bibel fordert uns im Neuen Testament immer auf, ein selbstloses Leben zu führen. Wenn unser alte Natur in Christus stirbt, werden wir in ihm wiedergeboren und er begleitet uns. Mit unserer neuen Natur, als wiedergeborener Christ, wollen wir Gott verehren, aber wir kämpfen immer noch mit menschlichen Versuchungen. In diesem Sinne bedeutet „Stab Your Self“, dem Teil des Selbst zu widerstehen, das noch voller Selbstbezogenheit, Stolz und Bitterkeit ist. Das ist jeden Tag eine neue Herausforderung und auch Wahl. Entgegen dem zu leben bzw. zu verleugnen, was das Selbst will, ist total gegen den Zeitgeist. Es klingt nicht cool oder trendig – aber das ist das, wozu ich mich entschieden habe.“

Die Symbolik findet sich auch im herrlich gruseligen Cover-Artwork von niemand geringerem als Pär Olofsson, einer der bekanntesten und geschätztesten Artwork-Künstler der Extreme-Metal-Szene. Die Schweizer sind sowohl stolz auf die wiederholte Zusammenarbeit mit dem grossen Namen als auch auf das coole Endprodukt. Das hat man sich auch etwas kosten lassen. Rund ein Viertel des gesamten Produktionsbudgets ging an den schwedischen Künstler. Dabei hatte Schmutz schon sehr konkrete Vorstellungen, wie das Cover ausehen, welche Atmosphäre es erzeugen und welche Metaphern es beinhalten sollte:

„Als wir ihn kontaktiert haben, hatte Jonathan schon sehr genaue Vorstellungen von dem Cover-Konzept und dessen Symbolik. Pär Olofsson hat das dann natürlich auf einer ganz anderen Ebene umgesetzt und er hatte von uns auch nur die Richtlinien und darüber hinaus viel Freiheit, das umzusetzen. Wir finden es sehr wichtig, daß jeder Künstler auch seine eigene Persönlichkeit in die Arbeit einfließen lassen kann. Da machen wir keinen Unterschied zwischen Musiker und Maler.“

Die dargestellte Opferszene ist voller biblischer Symbolik, auch wenn das einmal mehr etwas ist, das wohl der konventionelle Kirchgänger wohl als Frevel bezeichnen würde.

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„Das Licht über der Pyramide repräsentiert die Gegenwart und Macht Gottes und die Pyramide selbst stellt den Tempel der, auf den diese Präsenz herabkommt. Der Mann auf dem Altar steht für den erbarmenswerten Teil von uns Menschen. Den Anteil, der unerlöst ist und uns zur Sünde führt. Das Wesen, das aus dem Körper auf dem Altar aufsteigt, symbolisiert den neuen Menschen, der von Gott die Kraft erhält, der Sünde zu entsagen und den “alten Menschen” symbolisch zu erstechen. Das ist ja auch die Parallele zum Albumtitel „Stab Your Self“. Die Schädel stehen für die Dunkelheit und den Zerfall in der Welt und die lebenden Toten für die Versuchung durch das Böse.“

Dunkelheit und Zerfall der Welt. Man muss nur die täglichen Nachrichten ansehen, um die als eine Realität zu erkennen. So gesehen sind Necroblation eine “ganz normale” Death Metal Band. Den die Auseinandersetzung mit Tod, Zerfall und Dunkelheit haben dieses Genre ja überhaupt erst geprägt. Und doch sind Necroblation anders. Wo viele andere Bands ihre Aufgabe in erster Linie darin sehen, lautstark Kritik an der Politik oder ganz allgemein deden gesellschaftlichen Zuständen zu über, gehen Necroblation einen Schritt weiter. Nomen est Omen, wenn man die Bedeutung des Bandnamens zu Rate zieht. Necroblation bedeutet “vom Tod losgelöst”. Ihre Message ist so klar wie die Ehrlichkeit darüber, dass ihr Glaube nichts ist, was ein problemfreies Leben ermöglicht. Aber er ermöglicht eine Perspektive, die über den Tod hinausgeht.

Interview und Übersetzung: Daniel Frick
Copyright Fotos: H.Lahminèwski und Necroblation

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