Metaldays 2017 – Headbanger-Ferien im grünen Slowenien (2)
„Der Donnerstag sollte selbstverständlich erneut mit einigen beliebten Bands aufwarten – und das Wetter sich von einer besseren Seite zeigen als die erste Hälfte der Woche. Die Whiskey-Soda-Delegation wollte sich in den letzten beiden Tagen noch etwas mehr den Newcomern auf der eigens eingerichteten, neuen Stage widmen. Die bereits am Montag noch vor Beginn (zum Glück!) der ersten Auftritte zerstörte Bühne war seit Dienstag wieder auf Vordermann gebracht, die am Montag ausgefallenen Bands hatten ihre versäumten allesamt Performances nachholen können. Den Anfang auf der etwas abseits der Hauptrouten liegenden und eher bescheiden frequentierten Nachwuchsbühne machten die spanischen Immorgon. Mit deren Landsmännern von Angelus Apatrida sollten wir später über die inzwischen blühende Metalszene auf der iberischen Halbinsel philosophieren. Immorgon traten dafür den Beweis an. Viking-(Death)-Metal stammt üblicherweise aus Skandinavien, doch davon lässt sich der fidele Vierer nicht beeindrucken. Stilecht in Mittelalter-Kleidung gehüllt, zeigte die Mucke der noch recht jungen südeuropäischen Band schon viel Potential, lediglich beim Gesang und der allgemeinen Routine zeigte der Trupp (verständlicherweise) noch Nerven.
„Auf dem Weg zur Second Stage durch den Wald zeigte sich eine weitere Besonderheit der Metaldays. Nicht nur auf dem eigentlichen Campinggelände, sondern auch im Wald bis hinunter zur Soca läuft man an zahllosen Zelten vorbei, der Wald ist geradezu übervölkert. Aber es strahlt eine sehr chillige Atmosphäre aus, wie sich die Lager so zwischen die Bäume schmiegen. Die Metaldays wurden 2016 zum „grünsten Festival Europas“ gekürt. Von geschäftstüchtigen Metalheads wird „Beer for Boobs“ angeboten und irgendjemand trägt IMMER eine Schwimmring in Form eines Einhorns, einer Palme oder einer stattlichen „Bierinsel“ von A nach B, um die Frische des grünen Flusses zu geniessen. Pijn, entgegen dessen, was der Name vermuten liess keine niederländische, sondern eine britische Band hatte zum „Hardcore“ gerufen, zumindest versprach das das Festivalprogramm. Stattdessen lieferten die Gentlemen aus Manchester einen eigentümlich-bewundernswerten Mix aus Post- und Artrock, mit betörend schönen Melodien, eruptiven Klanggewittern und einer echten Lap-Guitar. Die nachfolgenden Angelus Apatrida aus Spanien hatten bereits gegen 16 Uhr eine solide Menge an Headbangern vom Wasser weggelockt. Kein Wunder, gelten die vier Jungs doch als das Beste, was Spanien in metallischer Hinsicht zu bieten hat. Nicht nur, aber vor allem als Live-Act.
Eine 24-Stunden-Odyssee hatten Guillermo, Victor, José und David hinter sich und waren sprichwörtlich in letzter Minute angekommen. Hätten die Jungs das nicht charmant-lapidar erzählt, man hätte es ihrem Auftritt nicht angemerkt. Denn sowohl auf als auch vor der Bühne explodierte die 45-minütige-Metal-Party geradezu! Von den Live-Qualitäten kann man sich noch in diesem Jahr auch zu Hause überzeugen: Um Weihnachten soll das erste, vollständig Do-It-Yourself produzierte, erste Livealbum der spanischen Klasse-Thrasher erscheinen.
„Die Architects hatten leider abgesagt, so dass auf der Hauptbühne das Programm erst etwas später mit modernem Progressive Metal aus dem Zwergstaat Andorra eröffnet wurde. Persefone haben Anfang des Jahres ihr fünftes Album „Aathma“ veröffentlich. Und wenn Whiskey-Soda-Redakteur Sascha das auf der Scheibe bei aller Klasse etwas kalkuliert und leblos fand, spielte die Band live alle Trümpfe aus. Exzellentes technisches Niveau aller Musiker nicht nur im Studio, eine allgemein sehr locker-sympathische Präsenz auf der Bühne und jede Menge Power gab es da zu bestaunen. Egal ob Screams, Keyboards oder Gitarren, hier stimmte alles. Besonders punkten konnten die Progger mit ihrem sehr druckvollen Medley vom Krieg-der-Sterne-Soundtrack, dargeboten mit dem bandeigenen Dreh. Hier konnten der Prog-Nerd, der Party-Metaller und sogar der Science-Fiction-Fan zufrieden vereint headbangen!
Gegen Abend legen auf der Mainstage die Blues Pills los. Sehr launiger, handgemachter Rock, der auf die 70er Jahre zurückblickt. Die Schweden haben in den letzten drei Jahren einen kometenhaften Aufstieg erlebt, und wenn man Frontfrau Elin -neurings mit blonder Ponyfrisur – bei der Arbeit zusieht, dann kann man das gut verstehen. Die Power-Stimme voller Soul, die Dynamik, die Gelassenheit, die Spielfreude, all das spricht für die Mittzwanziger, die einen für Metalverhältnisse sehr chilligen, aber überaus erfolgreichen Auftritt hinlegen.
„Die wegen ihrem radikalen Stilwechsel der letzten Jahre durchaus kontrovers wahrgenommenen Opeth sollten die Pechvögel des Tages sein. Zum Headliner des Tages hatte sich in der Dämmerung der weitläufige Platz vor der Mainstage beachtlich gefüllt und die Schweden begannen locker-routiniert ihr Set mit ‚Ghost of Perdition‘. Der anspruchsvolle Progressive-Death-Metal der Skandinavier sorgte schnell für anerkennende Bewegungen der Nackenmuskulatur, doch nach ‚Sorceress‘ vom aktuellen Album ging plötzlich nichts mehr. Auf der Bühne setzte hektische Betriebsamkeit ein, um die nicht näher erläuterten technischen Probleme in den Griff zu kriegen. Das dauerte jedoch über 30 Minuten, in der es Bandleader Mikael Åkerfeldt, sonst witzige Plaudertasche, offenbar die Sprache verschlagen hatte. In den gesamten 35 Minuten sagte der Frontmann kaum mehr als drei Sätze der Erklärung. Nach 15 Minuten begann Leadgitarrist Frederik Åkesson zwar mit der Improvisation von Gitarrensolos, doch auch das konnte nicht verhindern, dass im Laufe der Zwangspause rund ein Viertel des Publikum enttäuscht von der Wiese strömte. Auch wenn die Band danach wie gewohnt einen astreinen Job machte, sich Åkerfeldt bei den Dagebliebenen bedankte und den Abend somit durchaus gelungen zu Ende brachte, war die Magie des Gesamteindrucks durch den harschen Unterbruch doch verflogen. Für einen dennoch zauberhaften Abschluss des Tages sorgten auf der Nebenbühne dann die Live einfach immer grandiosen Isländer von Sólstafir.
„Das sphärische Lichtspiel von der Bühne fiel auf die von Bäumen eingerahmte Lichtung und vermischte sich mit den träumerischen Post-Metal-Klängen der Jungs aus Reykjavík. Die Metalheads nahmen ihre Girls in die Arme und ein magischer Auftritt nahm seinen Lauf. Mit Songs vom nagelneuen Album, aber auch den Spitzen-Hits ‚Fjara‘ und dem bedrohlichen ‚Djákninn‘ zogen Sólstafir alle in ihren Bann. Doch die Herzen gewann der sonst eher schweigsame Frontmann Aðalbjörn Tryggvason in dieser lauen Sommernacht nicht nur mit seiner Musik, sondern vor allem mit einem ergreifenden Statement, für das er sich zunächst energisch gegen betrunkene Pöbler Gehör verschaffen musste. In Anspielung auf den wenige Tage zuvor verstorbenen Linkin-Park-Frontmann Chester Bennington hielt Tryggvason eine berührende Ansprache und apellierte an die Anwesenden, für depressive Menschen in ihrem Umfeld „da zu sein“ und nicht gleichgültig oder hilflos wegzusehen. Ergänzt von einem ihrer melancholischen Songs, den sie für einen an die Krankheit verlorenen Freund geschrieben hatten, mit Sicherheit das relevanteste Ereignis der diesjährigen Metaldays. Zum krönenden Abschluss kletterte Tryggvason auf die Absperrgitter, schüttelte Hände und nahm ein Bad in der Menge. Was für eine Höhepunkt eines an Höhepunkten reichen Festivals!
Der Freitag war für viele Festivalbesucher wohl viel zu schnell dagewesen. Schon bald würde das unbeschwerte Feiern zu Ende sein – doch ein Tag mit versöhnlichem Wetter lag ja noch vor der internationalen Festivalgemeinde, der nur gemächlich anzulaufen schien. Das machte sich leider auch bei der Bühnencrew der Newcomer-Stage bemerkbar, die wohl am Tag zuvor zu laut Metal oder zu viel Bier genossen hatten. Anders kann man sich das Fiasko, mit dem die Kölner Progressive-Metaller, die erst vor wenigen Wochen ihr Debütalbum veröffentlicht hatten, sich herumschlagen mussten. Schon der Soundcheck gestaltete sich so holperig, dass einem die fünf sympathsichen Jungs leid tun mussten. Nach ewigen Diskussionen mit der Technik-Crew legten die Rheinländer los, doch erstens hatten die im Live-Setting offenbar recht unerfahrenen Jungs noch sichtlich mit den Startschwierigkeiten zu kämpfen und zweitens bekamen die Herren am Mischpult den gesamten, kurzen Auftritt über keinen anständigen Sound hin. So war das zweifellos vorhandene Potential der Debütanten nur recht blass zu erahnen. Lediglich Drummer Kevin Kott (Masterplan) zog hinter seiner Schiessbude sein Ding sichtlich unbeeindruckt und mit viel Charisma und Power durch.
„Mit Equilibrium ging es einige Zeit später auf der Mainstage auf die Festival-Zielgerade. Die bayrischen Pagan-Metaller sind immer eine sichere Bank für gute Laune. Ihre Mucke ist melodisch, hart, schnell und eingängig, die Musiker immer sehr locker und doch voller Energie bei der Sache. Episch nennen sie das selbst, und auch wenn der Begriff wohl überstrapaziert ist, geht er im Zusammenhang mit der bombastisch anmutenden Musik inklusive Streicher-Samples vom Keyboardder Süddeutschen absolut in Ordnung. Die deutschen Texte bieten darüber hinaus eine willkommene Abwechslung und einen eigenen Touch. Zur Dämmerung läuft dann Till Lindemanns Buddy Peter Tägtren mit Pain in seiner Zwangsjacke auf. Auch wenn das alles deutlich metallischer ist, so muss man doch an den Beginn der Woche mit Marylin Manson zurückdenken und auch die Partnerschaft mit den Rammstein-Frontmann ist beim Industrial-Dark-Metal recht einleuchtend und stimmig. Dem Publikum gefällt’s und gegen 21 Uhr ist der Vorplatz der Mainstage wieder proppevoll. Vermutlich nicht nur wegen der Schweden, sondern auch dem Headliner des letzten Festivaltags – Heaven Shall Burn.
„Die wichtigste deutsche und auch weltweit eine der erfolgreichsten Metalcore-Band ist inzwischen auch schon zwanzig Jahre im Rockmusik-Zirkus dabei und hat in dieser Zeit über 10 Millionen Alben verkauft. Von der oftmals beschworenen Unvereinbarkeit zwischen „echtem Metal“ und der stark vom Hardcore geprägten Variante war beim Publikum nichts zu spüren. Stromgitarren, Feuer und Circle-Pits im Dunkeln sprachen eine deutliche Sprache: Hier war eine wahrhaftig würdige, zweistündige Abschluss-Party mit einer bombastischen Bühnenproduktion im Gange! Eine Wirbelsturm aus bunten Bühnenlichtern, fiesen Screams, fetten Riffs, Drums und Breakdowns, der sich zu einem immer mächtigen Gewitter steigerte und steigerte. Am Ende gab’s nach Unmengen von Pyro-Effekten und schmerzenden Nackenmuskeln ein Konfetti-Schlangen-Feuerwerk und jede Menge Applaus und begeisterte Pfiffe.
Als offiziellen Schlusspunkt der Metaldays 2017 hatten die Organisatoren die Bay-Area-Thrasher Death Angel engagiert. Ob es ganz bewusst so geplant war, den als besonders leidenschaftlichen Metal-Entertainer bekannten Frontmann Mark Osegueda damit zu beauftragen, das Festival mit dem Einschwören der Metal-Gemeiden als passionierte und friedliche Gemeinschaft ist nicht bekannt. Auf jeden Fall gab es für diesen Job absolut keinen Besseren Mann.
„Die Band, die nach einer rund zehnjährigen Auflösung 2001 wieder zusammen kam und in den letzten Jahren zu einem Garant für ausgefallenen Thrash-Metal und emotional aufgeladene Live-Auftritte geworden ist, sorgte mit viel Spielfreude und unverfälschter, beinahe rührender Community-Celebration für zahllose emporgereckte Fäuste und gleichzeitig für Gänsehaut. Gnadenloses Thrash-Vollgas, ein charismatischer Frontmann mit einer echten Rock-Röhre, ein Leadgitarrit, der nur für seine Gitarre und seine leuchtenden Augen zu leben scheint. Hier verdichtete sich eine Woche Metal-Ferien auf seine Essenz. Mit der Thrash-Hymne ‚Kill As One‘ und der Ansage, dass es eine Freude und Ehre sei, eine Woche Metal-Festtage abzuschliessen, ging das Festival um 2 Uhr morgens zu Ende.
Natürlich wurde noch an der berühmt-berüchtigen Strandbar weitergefeiert, Bierreserven vernichtet, über die besten Bands und die schönsten Momente der Woche etwas wehmütig und leicht angetrunken fabuliert. Die temporäre Depression nach dem Festival würde am kommenden Morgen seinen Lauf nehmen. Noch 11 Monate und 29 Tage, bis in Slowenien wieder Metal-Ferien stattfinden. Wir können es kaum erwarten!