Metaldays 2016 – Regen und Donnergrollen im Paradies (2)
„Am Mittwoch sollte es so weitergehen wie an den beiden ersten Tagen: Sonnig und heiss am Vormittag, Donner und Regenguss am Nachmittag. Das Schlammloch vor der Hauptbühne, das jedes slowenische Wildschwein in Entzücktes Grunzen versetzt hätte, war nach dem Gloryhammer-Fiasko vom Vortag mit etlichen Lastwagen-Ladungen Holzschnitzeln aufgefüllt worden, die kurzerhand beim geilen Auftritt von Aborted zu Ersatz-Schlamm umfunktioniert wurden. Statt Schlamm wurden nun eben ganze Hände voller Holzspäne in die Luft geworfen. Die Stimmung war klasse, Circle-Pits, fliegende BHs und jede Menge Headbanging inbegriffen. Konnte es einen besseren Beweis geben, dass der Grossteil der Metalfreunde auf wechselhaftes Wetter einen sprichwörtlichen feuchten Kehricht gab? Auch die Veranstalter liessen sich nicht lumpen und füllten wegen dem anhaltenden Regen das Holz sogar nochmals nach. Erst am späten Nachmittag kam mit einem proggigen Regenbogen wieder die Sonne raus. Pro-Pain hatten den Regen weggerockt, damit Dying Fetus wieder mehr Zuschauer verzeichnen durften. Die waren live richtig gut und schön „old-schoolig“. Die wieder deutlich zugenommene Metallerdichte auf dem Sägeplatz sprach Bände.
„Tolmin ist ein überschaubares Festival und wenn man den Campingplatz einmal ausklammert, sind alle wichtigen Punkte in wenigen Minuten zu Fuss zu erreichen. Die beiden Bühnen sind nur von einem alten Fabrikgebäude getrennt, in dem das Catering und Ruheräume für die Künstler untergebracht sind. Dazwischen liegt der kleine Metal-Jahrmarkt mit teils bizarr-amüsantem Merchandise sowie der Pressebereich, in dem viele Bands während der vier Tage auch Autogramme gaben. Ebenfalls in kurzer Distanz: Unterschiedlichste, meist leckere Verpflegung und der dieses Jahr erstmals aufgestellte Bankautomat. Kostenloses Trinkwasser ist ebenfalls an zwei Orten erhältlich und an der etwas abgelegenen, reichlich frequentierten Strandbar die eisgekühlte 0,5 Budweiser-Dose zum Sonderpreis von einem Euro. Die sonstigen Preise der Getränke und Speisen waren trotz der leicht niedrigeren Lebenshaltungskosten in Slowenien in etwa auf dem Niveau von Deutschland. Allerdings war der Service und die Qualität insgesamt gut, auch wenn vereinzelt Beschwerden über überteuerte Cocktails mit zu viel Eis zu hören waren oder ähnliches zu hören waren. Andererseits gab es beispielsweise auch erstklassigen, veganen Kebab oder superzartes Pulled Pork.
„Zwischen Dying Fetus und den kultigen Napalm Death hatte der Veranstalter die schwedischen Retro-Rocker Graveyard ins Line-Up genommen. Hier stellte sich heraus, wie konservativ Metalheads sein können. Die Begeisterung für den Retro-Trend der vergangenen Jahre hielt sich nämlich stark in Grenzen, um es dezent auszudrücken. Wenig bis keine Bewegung vor der Bühne, an etlichen Stellen wurde gequält gestöhnt, an anderen lautstark gelästert oder die „lahme Pause“ zum Bierholen oder Toilettengang genutzt. Psychedelischer Progressive-Rock zwischen zwei Grindcore-Bands? Experiment gescheitert! Schliesslich hat alle Aufgeschlossenheit seine Grenzen. Erfreulicherweise machten die Extreme-Metal-Pioniere Napalm Death aus Birmingham den bei den Fans verlorenen Boden innerhalb kürzester Zeit wieder wett. Barney Greenway mit seinen lakonisch-britischen Songansagen, den etwas ungelenken Bewegungen und seinem grellen Gegrunze sind schlicht Kult, genauso wie Lockenkopf-Bassist Shane Embury und der Rest der schlagkräftigen Truppe. Vielleicht lag es am „Energiesparmodus“ bei Graveyard, aber das Publikum hatte offensichtlich Luft geholt und gab genau wie die Band wieder Vollgas. Auf der Second Stage stellten zur gleichen Zeit die Duisburger Schwermetaller Gloryful ihr Ende August erscheinendes, im besten Sinne traditionelles Metal-Album „End of the Night“ vor. Eine mehr als solide musikalische Untermalung zum Abendessen, was sich in ausgiebigen Gute-Laune-Bekundungen der Nackenmuskeln im Publikum manifestierte.
„Der heftig mit Thrash-Metal flirtende Sound der Jungs aus dem Ruhrgebiet kündigte dann auch eines der Festivalhighlights an: Ebenfalls aus dem Ruhrgebiet und die schlichtweg beste deutsche Thrashmetal-Band mit einer weltweiten, treuen Fangemeinde. Kein Wunder, dass sich so gesehen schon vor dem Beginn des Kreator-Konzerts schiere Massen von Fans vor der Lemmy-Stage sammelten. Die Kombo um Frontmann „Mille“ Petrozza gehörte zweifellos zu denjenigen, die auf den Metaldays jeder sehen wollte. Nach dem Intro ‚Choir Of The Damned‘ begannen die vier Herren ordentlich thrashig Ärsche zu treten: Der Opener ‚Enemy of God‘ hat alles, wofür man die Jungs aus Essen liebt. Melodik, angepisste Rotzigkeit und Riffs, Riffs, Riffs. Besonders erfreulich: Petrozza war während des ganzen Auftritts besonders gut aufgelegt, plauderte locker mit den Fans, lobte die coole Atmosphäre von Tolmin und beschwor das Gemeinschaftsgefühl der Metaller. Gerne hätten wir uns für Euch mit Petrozza unterhalten, leider wurden keine Interviews gegeben. Die Gerüchteküche sagt allerdings, daß wohl in den nächsten Monaten der Nachfolger von „Phantom Antichrist“ angekündigt werden und vermutlich Anfang 2017 erscheinen wird. Neue Songs wurden leider nicht präsentiert, allerdings haben Kreator eine umfangreiche Diskographie, so daß es kein Problem war, den Abend zur Freude aller zu gestalten. Der zeigte sich vor allem in den exzellenten Qualitäten jedes einzelnen Musikers und dem eigenständigen Stil. Kreator waren und sind noch immer vielseitig, klingen nach wie vor wütend über die Missstände, die sie besingen. Ein wahrhaft würdiger Headliner des dritten Tages. „Der Donnerstag, für die Whiskey-Soda Abordnung der letzte Tag des Festivals, begann gleich mit äußerst leckerem Death-Thrash von Scarred aus Luxemburg. Trotz Regen. Mal wieder. Dementsprechend verpassten diejenigen, die nicht zur überschaubaren Besuchermenge vor der Hauptbühne gehörten, eine geile, groovige Band. Die Einheimischen The Canyon Observer spielten experimentellen, stimmungsvollen Instrumental-Postmetal, mit dem einmal mehr nicht allzu viele etwas anfangen konnten. Vermutlich nicht das passende Publikum, vielleicht lag es aber auch einfach nur am Regen. Serenity aus Österreich dagegen begeisterten wieder sehr und dürfen zu Recht als einer der Überraschungs-Sympathieträger der Metaldays 2016 gelten. Der auf dem neuen Album „Codex Atlanticus“ schon recht appetitlich klingende Symphonic-Powermetal der Band aus Tirol funktionierte Live noch besser und erntete viel Applaus. Dies war natürlich auch dem sympathischen Auftreten des Frontmann Georg Neuhauser und seinem weiblichen Gegenpart Natascha Koch geschuldet, beides gefühlvolle Sänger, die beeindruckten.
„Immolation hatten am Metaldays-Donnerstag kein Glück: Zuerst waren Drummer Steve Shalaty am Flughafen einige seiner Becken abhanden gekommen und Gitarrist Bill Taylor hatte wegen eines Krankheitsfalles in der Familie die vorzeitige Heimreise in die USA antreten müssen. So trudelten die verbliebenen drei Todesmetaller knapp vor dem Auftritt im Backstage-Bereich ein. So fiel leider ein weiteres unserer geplanten Interviews sprichwörtlich ins Wasser. Der Auftritt entschädigte uns aber, zumal eine unserer Fragen von Bassist Ross Dolan direkt auf der Bühne beantwortet wurde: „Wir haben gerade die Aufnahmen zu unserem neuen Album abgeschlossen, daß voraussichtlich im Februar bei Nuclear Blast erscheinen wird“, plauderte der Mann für die tiefen Töne und mit den beeindruckend langen Haaren munter aus dem Nähkästchen. Dabei waren dann auch zwei neue Songs, vorgetragen mit spürbarer Passion und Vorfreude auf das neue Album.
„Auf der Nebenbühne lief mit einer kleinen Überschneidung der Auftritt von Nameless Day Ritual, jenes bulgarischen Musikerkollektivs, das bei uns Mitte Februar mit seinem Debütalbum für Bewunderung gesorgt hatte. Daß die Band auch live überzeugen würde, war bei den offensichtlichen Qualitäten der Musiker nur eine theoretische Frage. Beim ersten Song noch etwas wackelig, zeigte Frontfrau Asya schon bald die erstaunliche Bandbreite ihrer Stimme, während der Rest der Band punktgenau und hochkonzentriert die progressiv angehauchten Riffs und Soli ablieferte. Schade, daß nur eine halbe Stunde drin lag, die applaudierenden Fans inklusive dem Autor dieser Zeilen hätten gerne noch mehr gesehen und gehört.
“ Zurück an der Hauptbühne geht es für das Whiskey-Soda-Team auf die Zielgerade. Septicflesh aus Griechenland legten vor, während sich der Platz vor der Bühne zu Ehren Lemmys wieder merklich füllte. Die Death-Metaller mit Gothic-Attitüde halfen dabei, die Nackenmuskeln schon ordentlich aufzuwärmen, was dann auch viele der Besucher taten. Teilweise amüsant anzusehen, was Metalheads bewerkstelligen, während sie am Headbangen sind. Bier trinken, sich eine Zigarette drehen oder mit der Freundin Händchen halten, alles kein Problem. Devildriver waren nicht nur angetreten, um mit einem gigantischen Backdrop ihr neues Album „Trust No One“ dem Festivalpublikum näher zu bringen, sondern die Bühne in Schutt und Asche zu legen. Es war schlicht unglaublich, wie explosiv Frontmann Dez Fafara und seine Mannen ihren Sound live herüberbrachten, der irgendwo zwischen Death-, Thrash- und Groovemetal angesiedelt ist und doch auf keinen dieser Stile festgelegt werden kann. Vermutlich deshalb hat die Band zusätzlich mit dem modernen Sound auch so ein weitgefächertes Publikum. Auf Devildriver kann sich im Minimum jeder verständigen, wobei das die Atmosphäre am Donnerstagabend nur unzureichend beschreibt. Sagen wir so: Devildriver sorgten für deutlich mehr Enthusiasmus als der folgende, offizielle Headliner At The Gates. Die Schweden, Mitbegründer des skandinavischen Death Metal aus Göteborg, wirkten eher routiniert als begeistert. Auch wenn natürlich wegen des bekannten Namens viele noch geblieben waren, konnte die Truppe um den Frontmann Thomas Lindberg nicht völlig überzeugen.
Da ging es auf dem Heimweg bei Obscura auf der Second Stage im Verhältnis um einiges energiegeladener und auch enthusiastischer zu. Eine Schande, dass eine der besten deutschen Death-Metal-Bands nach 1 Uhr nachts auftreten musste. Allerdings war die Waldlichtung, auf der die Süddeutschen auftraten, so bevölkert wie bei kaum einem der Auftritte in den Tagen zuvor. Die Uhrzeit schien also die meisten wenig zu stören. Technisch ausgefeilt und melodiös, dabei anspruchsvoll und gnadenlos hart zeigten die Jungs, was sie drauf haben – und das ist eine Menge. Im Oktober wird man Steffen Kummerer und seine drei Mitstreiter nochmals auf einer kleinen Tour in Deutschland sehen können – wir planen einen Bericht, denn wir mussten uns leider auf den Weg zurück nach Deutschland machen. So konnten wir leider auch den abschliessenden Festivalfreitag mit Blind Guardian und Exodus, Dragonforce und Varg nicht mehr für Euch beurteilen. Wir sind aber überzeugt, dass auch am Freitag die Atmosphäre spitzenmässig war. Das Wetter schien ironischer weise wieder stabiler zu sein bei der Rückreise der Whiskeys nach Deutschland. Die ersten Pläne für nächstes Jahr sind schon gemacht. Selbst für erfahrene Festivalgänger, mit denen wir immer wieder sprachen, sind die Metaldays etwas Besonderes. Es klingt fürchterlich platt: Es ist einfach ein tolles Festival, in der richtigen Größe und absolut idyllisch gelegen. Einen paradiesischen Kurzurlaub immer wert. Und nächstes Jahr wird auch das Wetter wieder besser sein.
Text: Daniel Frick
Fotos: Sonja & Daniel Frick