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MEKONG DELTA – Von Zweiflern, Lügnern und Gläubigen

Für Whiskey-Soda hat sich Hubert mitten im „Corona-Lockdown“ einigen interessanten Fragen gestellt und dabei schonungslos offen, ausführlich und tiefgründig geantwortet.  Das macht diesen Artikel nicht nur sehr lesenswert, sondern es gibt mehr als die meisten Interviews mit anderen Bands ein Bild von der Hauptperson hinter Mekong Delta. Hubert antwortet dann auch lakonisch auf die erste Frage zu seiner allgemeinen Einschätzung der Covid-19-Pandemie, die (auch die Musik-)Welt im Mai 2020 fest im Griff hat. Keine Live-Konzerte und ein neues Album, dessen Veröffentlichung um zwei Wochen verschoben wurde:

„Bei mir ist alles im grünen Bereich. Ich habe allerdings auch den Panikknopf bei mir nicht gefunden. Das so eine „Pandemie“ irgendwann einmal kommen würde, war eigentlich jedem klar, der sich mit dieser Thematik einmal beschäftigt hat. Mir wurde das bewusst, als ich damals den heute immer noch sehenswerten Film „Outbreak“ sah. Es gibt da mittlerweile sogar einen noch realistischeren – „Contagion“. Ich bin dann bei der Suche nach Literatur zu dem Thema auf das recht umfangreiche Buch „Die kommenden Plagen“ von Laurie Garrett gestoßen. Es analysiert unter anderem die spanische Grippe, Ebola, Marburg und geht auf die Arbeit des „Center of Disease Control“  ein. Das ist die Abteilung des US-Gesundheitsministeriums, die für Infektionskrankheiten und ihre Eindämmung sowie Prävention zuständig ist. Sehr informatives Werk. Die Entscheidung, den Release zu verschieben, haben Label und Vertrieb beschlossen. Wohl in der irrigen Meinung, dass dann alles wieder normal wäre. Eine Auffassung, die ich – um es einmal nett zu umschreiben – doch für sehr optimistisch hielt.“

Das neue Werk von Mekong Delta, „Tales of a Future Past“ hat auch einen politischen Unterton bzw. spricht menschliche und gesellschaftliche Missstände an.  „Tales“ sind für Hubert ganz eindeutig keine Märchen oder fiktiven Geschichten, auch wenn er diese liebt. Es sind Parabeln auf die Gegenwart, auf das, was um uns alle herum passiert. Im Kulturfernsehen und Feuilleton werden von Zukunftsforschern, Philosophen und Soziologen die großen Chancen betont, die in der gegenwärtigen Corona-Krise für die Neuordnung einer „besseren“ Gesellschaft und Wirtschaft lägen. Ob „die Menschen“ in der Lage dazu sind, dies tatsächlich zu bewerkstelligen und ob die Politik dabei eine wesentliche Rolle spielen könnte, sieht der Hauptkomponist von Mekong Delta pragmatisch und mit einem wütend-fatalistischen Blick auf die Realitäten der Geschichte. Zumal es nahe liegt, dass mit den Songtiteln „Colony of Liar Men“ oder „Mental Entropy“ Politiker, einflussreiche Wirtschaftsbosse oder andere Verantwortungsträger gemeint sein dürften.

„Glaubst du ernsthaft, dass diese Schranzen in Berlin, die sich in ihrem feudalen Gebaren schon seit Jahrzenten auf unsere Kosten fettfressen, lernfähig sind ? Wie soll das gehen ? Die haben doch zum größten Teil nie etwas gelernt – Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal.  Zu einem Großteil des politischen Personals fällt mir immer wieder nur der Klassiker ein: „Er war Anwalt und auch sonst von bescheidenem Verstand“.

An solche Troglodyten („Höhlenbewohner“  aus der antiken Literatur im Sinne von „Ethnien auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe“) habe ich höchstens den Wunsch, dass sie sich eine Insel suchen und sich dort selbst regieren.

Im Kampf um die politische Meinungshoheit werden die Menschen mittlerweile von allen möglichen Interessensgruppen beschossen. Dabei wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Allen voran von den Medien, den Megaphonen der Selbstgerechten. Die haben mittlerweile längst vergessen, dass es ihre Aufgabe ist, neutral über Fakten zu berichten und sich nicht mit irgendwelchen Meinungen gemein zu machen.

 Dabei wird kein Versuch ausgelassen, die breite Masse zu beeinflussen. Mit Methoden, die in der Narration am Ende vom “Colony of Liar Men“ aufgeführt werden:  „Framing“, „Overtone Window“ und so weiter. Dabei bin ich mir ziemlich sicher, das die Menschen genügend Hirn besitzen, sich aus Fakten ein eigenes Bild zu machen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass unsere Gesellschaft in immer kleinere Teile zersplittert und keiner mehr dem Anderen zuhört. Kontroverse Diskussionen, wie ich sie auch innerhalb unserer Gruppe kenne (wo Argumente ausgetauscht werden und wo man seine Position ändert, wenn die vorgetragen Fakten einfach stimmiger sind als die eigenen), scheinen dort gar nicht mehr möglich.

Ob wir als Menschen aus Corona lernen werden, vermag ich nicht zu beurteilen. Ich habe aber schon sehr lange den Eindruck, dass wir als Menschheit, wenn nur genug Zeit vergangen ist, allen möglichen Mist wiederholen. Es gibt dieses schöne Zitat von dem arabischen Philosophen Mas’udi:

“Aus der Geschichte können wir lernen, dass noch nie aus der Geschichte gelernt wurde.“

Hubert hat mit seiner Band seit vier Jahren an dem neuen Album gearbeitet – zum Zeitpunkt der Produktion war das neue Corona-Virus noch kein Thema. Wohl aber Krisen in Wirtschaft, Umwelt, Politik und Gesellschaft. Umso gespenstischer, dass zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Tales of a Future Past“ die Menschheit wegen einer globalen Pandemie unmittelbarer als seit Jahrzehnten mit ihrer metaphysischen Hilflosigkeit konfrontiert ist. Es scheint, als sei das künstlerische Menetekel des Albumthemas von Mekong Delta in die Realität übergesprungen. Darauf angesprochen, stimmt Hubert mit dem Hinweis auf das Thema eines der neuen Songs zu:

„Nun, wenn ein Song den Nagel auf der Kopf trifft, dann ist das wohl „When All Hope Is Gone“. Der Titel ist eine Parabel die erzählt, wie ein Planet sein Ende findet, weil er in ein schwarzes Loch stürzt bzw. gezogen wird. Seine Einzigartigkeit und trotzdem Bedeutungslosigkeit angesichts von Trillionen an weiteren Planeten ist ebenso Gegenstand des Textes. Unser Sänger Martin LeMar hat hier wirklich Klasse Lyrics geschrieben! Ersetze „Planet“ durch „Mensch“ und du hast deine Antwort ….

Die aktuelle Situation und die Thematik des Albums habe ich bis jetzt noch gar nicht vergleichend betrachtet. Es ist ja auch nicht so, dass die Texte der anderen Alben eher romantischen Charakter gehabt hätten. Eine eher düstere Sicht auf die Gesellschaft ist eigentlich Tenor auf jedem Album. Nimm beispielsweise „The Music of Erich Zann“. Dort verzweifelt der Protagonist letztendlich an der Idiotie der Gesellschaft und es wird nicht an deftigen Aussagen gespart. Schon damals hatten wir zur politischen Lage in „Confession of Madness“ geschrieben:

„… this system has proofed that it is absurd“,

zu Politikern in „Hatred“ „… they only got teeth to crash in their face …“.  

Das Lied „Mental Entropy“ greift das physikalische Prinzip der „Entropie“ auf. Das besagt stark vereinfacht, dass „Dinge“ sich automatisch in Unordnung begeben, so lange man nicht Energie aufwendet, um sie wieder in  Ordnung zu versetzen. „Mentale Entropie“ wäre demnach ein Zustand der „geistigen Unordnung“. Ob er den Eindruck habe, uns Menschen sei die Fähigkeit oder der Wille zu ordnen inzwischen abhanden gekommen, fragen wir unseren Gesprächspartner.

„Ja, schau dir dein aufgeräumtes Wohnzimmer ohne Eingriff nach drei Wochen an! Da bekommt die Aussage „Jedes geordnete System strebt dem Chaos zu“ eine eindeutig tiefere Bedeutung. (Lacht)

Mein Eindruck ist, dass es den meisten Menschen nicht mehr möglich ist, sich lange zu konzentrieren. Daher wohl auch der Kommentar “tl;dr“ ( too long, didn‘t read ) oder die permanente Vereinfachung der Sprache durch immer infantilere Piktogramme. So etwas verunmöglicht ziemlich oft tiefere Diskussionen, da der Sprachschatz permanent weiter reduziert wird, Missverständnisse entstehen und so etwas in der Endstufe meist zu Chaos verschiedenster Art führt. Krieg ist letztendlich auch nur eine Untermenge von Chaos. Mir fällt gerade der Film „Idiocracy“ (USA, 2006) ein. Wer den nicht kennt, sollte sich den mal anschauen. Da wird für mich eine sehr wahrscheinliche Zukunft der Gesellschaft dargestellt. (Anm. der Red.: Im Film wird eine geistig degenerierte Gesellschaft im Jahr 2505 in ihrer Endphase portraitiert). Ist zwar zum Brüllen, das Lachen bleibt einem jedoch meist augenblicklich im Hals stecken.

Vom thematisch-inhaltlichen Konzept des neuesten Werks von Mekong Delta (das, wie wir nach diesen Antworten erkennen müssen, ein absolut typisches Mekong Delta Album ist) sollen natürlich auch die musikalischen Aspekte in diesem Artikel nicht zu kurz kommen. Und auch hier sind eindimensionale Antworten unmöglich. „Tales of a Future Past“ ist auch musikalisch „typisch Mekong Delta“ – und das ist wie in unserer Rezension erwähnt, im allerpositivsten Sinne gemeint. Eine „Knüppel-Thrash-Combo“ waren Mekong Delta noch nie, schon immer hatte die Musik viel mehr Facetten als Gitarrenriffs, Double-Bass-Drums und wütender Gesang. Im Gesamten erscheint die neuste Platte des kreativen Quartetts in diesem Sinne etwas milder, weniger hart als frühere Alben – auch wenn es Ausnahmen gibt. Ist das elfte Album von Mekong Delta tatsächlich ruhiger, melancholischer, weniger hart?

Mekong Delta 2020: Hubert, Landenburg, Lake, LeMar (v.l.n.r.)

„Es ist immer wieder interessant, wie verschiedene Personen Musik wahrnehmen. Bei einem anderen Interview wurde das Album als deutlich härter empfunden. Nach meiner Auffassung ist beides wahr. Einige Titel sind härter, andere nicht. Der Eindruck „weniger hart“ entsteht wahrscheinlich durch den starken Orchestereinsatz. Holzbläser und Streicher klingen im Gegensatz zu verzerrten Gitarren – auch wenn sie dasselbe spielen – meist weicher. Auf jeden Fall setz ich mich nicht mit der Intention hin, ich schreib jetzt ein hartes oder softes Stück. Das ergibt sich aus der Grundidee.“

Das Kernelement von „Tales…“ ist das vierteilige „Landscape“. Das geheimnisvolle „Into the Void“ mit Streichern, Flöte und weiteren Perkussionsinstrumenten eröffnet das Album rein instrumental. „Landscape 2 – Waste Land“ ist ein fantastisches Orchesterstück mit Streichern, Hörnern, Harfe, akustischer Gitarre und mehr, das mit Landenburgs Drums und toller Gitarrenarbeit verwoben ist. „Landscape 3 – Inharent“ hat den wohl den typischsten Thrash-Metal-Touch auf dem gesamten neuen Album und der Album-Abschluss „Landscape 4 – Pleasant Ground“ lässt mit triumphalem Tenor doch noch etwas Hoffnung zurück, was laut Hubert absichtlich an dieser Stelle steht. Letzteres Stück ist wie so oft bei Hubert und Mekong Delta eine Re-Interpretation eines Stücks von einem anderen Komponisten: „Sevilla“ aus der „Suite Española Opus 47“ vom spanischen Komponisten Isaac  Albéniz, der von 1860 – 1909 lebte und wirkte. Über die Stücke, ihre Wirkung und Entstehung nachgefragt, kommt Maestro Hubert ins Schwärmen:

„Die Titel haben in der Tat (“When all Hope is Gone“ gehört auch noch dazu ) einen tieferen Hintergrund. Seit Jahren arbeite ich nun schon daran, Joseph Konrads Novelle “Herz der Finsternis“ tonal umzusetzen, was mich regelmäßig an den Rand des Wahnsinns treibt. Alle drei Titel sind eigentlich im klassischen Sinn Vorstudien zu der musikalischen Umsetzung des Novellenthemas. Bei „Landscape 3“ wird die Band wie ein Orchester eingesetzt, alles ist quasi als Orchestersatz arrangiert.  „Landscape 2“ und „When all Hope is Gone“ setzt sich mit der Integration Band und Orchester bzw. Band, Orchester und Gesang  auseinander und versucht dies gegenüber früheren Ansätzen zu verbessern. Wichtig sind mir die Titel deshalb, weil nach meiner Meinung die Geschichte von Konrad musikalisch nur in dieser Art umgesetzt werden kann.“

Von neoklassischen Komponisten, orchestralen Arrangements und Streich- und Blasinstrumenten wollen wir den Meister dann aber doch noch einmal zurück zum Heavy Metal führen. Auf die banale Frage, ob er denn wisse, was im Schwermetall-Zirkus 2020 außer Mekong Delta so passiere, wiegelt er ab. Zuviel zu tun und am Feierabend soll es dann bitte etwas ruhiges wie akustische Gitarrenmusik sein. Metal höre er fast nur, wenn er sich mit seinen Bandkollegen zum Proben treffe. Und weil Hubert hier im Gegensatz zum restlichen Interview wenig aufregendes zu berichten hat, haken wir noch einmal nach. Ob er die christliche Progressive-Thrash-Metal-Band Believer aus den USA kenne, die mit ihrer Kombination aus Klassik und Thrash durchaus eine gewisse Ähnlichkeit zu seiner eigenen Band habe. Und was ihm in den Sinn komme, wenn er höre, dass eine Musikgruppe die Bibel und der darauf aufbauende christliche Glaube als Inspiration und Grundlage für ihre Musik nutzten?

„Nein, die kannte ich überhaupt nicht, hört sich aber interessant an!  Was mir in den Sinn kommt ? Die Bibel ist ein fantastisches Buch voller Metaphern und sinnvoller Verhaltensregeln. Dass man, wenn man dazu neigt, dort eine Quelle tiefer Inspiration und Kraft finden kann, ist für mich nachvollziehbar. Und wer weiß? Je länger ich mich mit theoretischer Physik beschäftigt hatte, desto wahrscheinlicher schien mir der Gedanke, dass hinter all diesem eine ordnende Kraft steckt.“

Da philosophiert und komponiert die treibende Kraft hinter den großartigen Mekong Delta über Entropie und räumt dann am Ende doch die Wahrscheinlichkeit einer „ordnenden Kraft“ hinter allem ein? Was für ein versöhnlicher Gedanke! Genauso versöhnlich, wie das wundervolle „A Farewell to Eterntiy“ hoffnungsvollere Töne anschlägt. Vielleicht ist die Menschheit doch nicht verloren?

„Wer weiß das schon?“, schmunzelt Ralf Hubert.

Mekong Delta 2020 sind:

Ralf Hubert (Bass, akustische Gitarre, klassische Gitarre)
Alex Landenburg (Drums) – Cyhra, Kamelot, Luca Turilli’s Rhapsody
Peter Lake (Gitarre) – Theory In Practice
Martin LeMar (Vocals) – Lalu, Tomorrow’s Eve

Mekong Delta Diskographie:

Mekong Delta (1987)

The Music of Erich Zann (1988)

The Principle of Doubt (1989)

Dances of Death (and Other Walking Shadows) (1990)

Kaleidoscope (1992)

Visions Fugitives (1994)

Pictures at an Exhibition (1997)

Lurking Fear (2007)

Wanderer on the Edge of Time (2010)

In a Mirror Darkly (2014)

Tales Of A Future Past (2020)

 

Bandhomepage

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Butler Records (Label)

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