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Let Me Fly

Der Unterschied zwischen den aktuellen, im Abstand von zwei Wochen erscheinenden neuen Alben der ehemaligen Bandkollegen Steve Hackett und Mike Rutherford könnte nicht größer sein. Wo Hackett auf „The Night Siren“ immer noch nach neuen Herausforderungen sucht und neugierig auf alles ist, was sich irgendwo verwursten lassen könnte, ist das neue Mike And The Mechanics-Album erwartungsgemäß ein wertkonservatives, eingängiges Popalbum geworden, das exakt so auch schon 1993 hätte erscheinen können. Wenn da nicht die Stimmen von Andrew Roachford und Tim Hamar statt Paul Carrack und Paul Young erklängen, könnte eigentlich jeder Song von „Let Me Fly“ ein Outtake vom „Beggar On A Beach Of Gold“-Album sein.

Nun ist das ja nicht die schlechteste Referenz, zumindest, wenn man nicht erwartet, daß Rutherford in irgendwelcher Weise die Erwartungen der Genesis-Fans in seinen Schaffensprozess einbezieht. Ja, natürlich ist jeder Song auf „Let Me Fly“ purer Radiopop, perfekt geeignet fürs Hausfrauenprogramm. Die Keyboards klingen exakt wie in den Achtzigern, die programmierten Drums nach den frühen Neunzigern, und Rutherford spielt die seit ‚Follow You Follow Me‘ patentierte Delay-Gitarre. Wo selbst der vielgescholtene Kollege Phil Collins auf seinen Alben immer noch ein jazziges Instrumental oder einen ausladend arrangierten Sechs- bis Siebenminüter platziert hatte, kommt Rutherford sowas gar nicht in die Tüte. Auch Gitarrensoli gibt es nur höchst selten. Die waren Rutherford als hauptberuflicher Bassist und Songwriter schon immer unangenehm. Die Simplizität der Musik sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier durchaus gelungenes Material mit intelligenten und eigenständigen Arrangements versammelt wurde. Dabei sind es aber eher die ein wenig aus dem Rahmen fallenden Stücke wie das minimalistische ‚High Life‘ und vor allem das doch durchaus den Rock-Bereich streifende, dynamische ‚The Letter‘ und der atmosphärische Schlusstrack ‚Save My Soul‘, die zum wiederholten Durchlauf einladen. Bei letzteren beiden sehnt man sich durchaus danach, daß dann Kollege Tony Banks die Ideen geschnappt und in ein Epos biblischer Größe verwandelt hätte. Ja, die beiden waren schon ein großes Songwriter-Gespann.

Aber auch ohne seine Ex-Kollegen hat Mike Rutherford einmal mehr ein gutklassiges Popalbum geschaffen, das hohen Wiedererkennungswert hat und mit ‚The Best Is Yet To Come‘, der Single ‚Don’t Know What Came Over Me‘, ‚I’ll Be There For You‘ und den oben erwähnten Stücken ein paar echte Highlights zu bieten hat. Wenn man sich denn damit abfinden kann, daß es sich um netten, gefälligen Radiopop für die Ü-40-Generation handelt. Zwischen den seit Tagen bei mir dudelnden Voivod-Releases jedenfalls auch eine willkommene Abwechslung.

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