HUNTSMEN – Emotionsgeladener Post-Metal im Americana-Gewand
Mitten in der Corona-Krise hat uns Gitarrist Kirill Orlov einige weitergehende Fragen beantwortet, um seine Band ein wenig näher vorzustellen. Im Gespräch kommt die Entstehungsgeschichte des neuen Albums, psychische Krankheiten, Comics zur Sprache. Und das Ende der Welt.
Whiskey-Soda: Die meisten unserer Leser kennen eure Band sicherlich noch nicht. Wie würdest du einem Rockmusik-Fan die Musik beschreiben, die ihr mit Huntsmen macht?
Kirill Orlov: Ich finde eigentlich schlicht „Metal“ am einfachsten. In unserer Musik sind so viele Sub-Genres vertreten, dass es ich es ein bisschen anstrengend finde, die jetzt alle zu benennen. Ich denke Musikfreunde, die Crosby, Still, Nash & Young, Yes, Mastodon oder Neurosis mögen, werden einen ganz guten Draht zu uns finden. Vielleicht hilft das ein wenig, unsere Mucke einzuordnen.
WS: Mich hat die Musik oder zumindest Teile and Baroness und Kylesa erinnert, zwei Bands, die ich sehr verehre. Kennt ihr die Bands auch und wie fühlt es sich für euch an, mit ihnen in einem Atemzug genannt zu werden?
KO: Ja, wir kennen beide und Baroness verehre ich ebenfalls sehr. Sie sind für mich ein perfektes Beispiel für eine Band, die auf sehr untraditionelle Art und Weise Metal macht. Man merkt einfach, daß die Musik aus ihrem Innersten kommt, dazu kommen noch die wunderschönen Artworks von John Baizley. Kylesa kenne ich nicht so gut, aber das was ich gehört habe, hat mir auch gut gefallen.
WS: Ihr habt bisher zwei EP’s und ein Studio-Album veröffentlicht. Letzteres, „American Scrap“, erschien vor rund zwei Jahren und wurde als „Americana Metal“ beschrieben. Wie geht es dir mit diesem Begriff und kannst du ihn unseren Lesern vielleicht erläutern?
KO: Wir haben darüber gesprochen und mögen diese Beschreibung. Ich finde, sie passt sehr gut zu dem, was wir mit „American Scrap“ ausdrücken wollten. Americana Metal ist ein Mix aus verschiedenen Folk- und Roots-Stilen mit einem starken, immer präsenten Metal-Fundament. Unter dem Begriff „Americana“ versteht man im weiteren Sinne auch alles, was in folkloristischer, amerikanischer Erzählkultur steht. Und weil wir eine Band sind, die es liebt, Geschichten zu erzählen, passt die Americana-Schublade uns sehr gut.
WS: Etwas, das eure Musik auf beiden Alben ausmacht und auch sehr gut zu ihr passt, ist der mehrstimmige Gesang, der manchmal fast an einen kleinen Gospelchor erinnert. Wie ist das entstanden?
KO: Gesangsharmonien gehören seit Anfang an zu Huntsmen. Als Ray und später Aimee zur Band dazu stießen, haben wir sie noch mehr in den Vordergrund gestellt. Wir haben sehr schnell gemerkt, daß wir mit vier anstatt zwei Sängern ganz andere, schöne Gesangsharmonien umsetzen können. Irgendwie gehört das also schon immer irgendwie dazu – es macht einfach einen Teil unserer Musik aus.
WS: Was hat sich nach der Veröffentlichung von „American Scrap“ für euch als Band verändert?
KO: Definitiv die stark gewachsene Aufmerksamkeit und das viele Lob, das wir für das Album bekommen haben. Wir sind echt froh, daß es uns gelungen ist, eine neue Note in die Metal-Szene zu einzubringen. Uns geht es um Gefühle im Allgemein und nicht einfach nur um Aggression.
WS: Mit eurem neuen Album „Mandala of Fear“ bleibt ihr eurem Stil treu, dennoch wirkt „American Scrap“ um einiges ruhiger auf mich. Woher kommt das, hattet ihr mehr Wut zu bearbeiten mit eurem zweiten Werk.
KO: Ich bin nicht sicher, ob ich dem zustimmen würde. Ich finde, „Mandala of Fear“ hat einfach mehr Raum, um zu atmen. Bei „American Scrap“ haben wir in gewisser Weise einige Kurzgeschichten verknüpft. Die hatten zwar ähnliche Themen, aber waren nicht zusammenhängend. Da war das neue Album eine ganz andere Herausforderung, ein wirklich großes Unterfangen. Das, was wie Wut wirkt, hat eher die Funktion, die Geschichte voranzutreiben. Sie spiegelt das Erfordernis wider, sich durchzubeißen und zu überleben. Es ist genau das, was unsere Protagonisten in der Geschichte durchmachen, die wir erzählen.
WS: Wenn du nur zwei Sätze hättest, um „Mandala of Fear“ zu beschreiben, was würdest du besonders hervorheben?
KO: Das Album ist eine musikalische Reise, die man nur als Gesamtwerk wirklich gut erfassen kann. Es ist eine Geschichte über Verzweiflung, Verlust, Trauma und das Überleben.
WS: Genau, es ist ein Konzeptalbum. Ihr erzählt ein Drama, das in einer Post-Nuklearen Welt stattfindet. In den Texten und eurer separaten Schilderung der Rahmenhandlung ist sehr viel von Stress, Trauma, Trauerbewältigung, Gedächtnisverlust und ähnlichem die Rede. Ich habe mich gefragt, ob ihr da eine Metapher auf psychische Erkrankungen gezeichnet habt. Ist da was dran?
KO: Vielleicht. Wir haben das Album in schwierigen, harten Zeit geschrieben. Unser Sänger Chris musste sich nach „American Scrap“ einer schwierigen Rücken-Operation unterziehen. Er war dann eine Weile außer Gefecht, hat aber trotzdem an den Grundlagen für „Mandala of Fear“ geschrieben. Möglicherweise kommen die Themen, die in der Geschichte mitschwingen daher. Stress, Trauma und Regeneration. Als wir uns dann wieder zusammen setzten und über die Geschichte sprachen, konnte jeder Einzelne von uns sich sehr gut mit dem Protagonisten der Geschichte identifizieren. Jeder von uns hat ja schon auf die eine oder andere Weise etwas Ähnliches erlebt, wenn auch natürlich nicht so extrem, wie wir es auf dem Album darstellen.
WS: Ihr habt also nicht das Gefühl, daß wir uns 30 Jahre nach dem friedlichen Fall des Eisernen Vorhangs in eine neuen, atomaren Konflikt steuern könnten?
KO: Wir sind keine Band, die sich mit dem Ende der Welt in der Realität beschäftigt. Es ist für uns einfach eine Art, unsere Geschichte zu erzählen. Andererseits breitet sich zurzeit weltweit das Corona-Virus. Das ist schon etwas, das wir gut im Auge behalten sollten!
WS: Für die Vinyl-Ausgabe von „Mandala of Fear“ habt ihr euch etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Dem Album liegt ein Comic bei, das die Geschichte des Albums in Bildern erzählt. Wie seid ihr auf diesen crossmedialen Ansatz gekommen?
KO: Uns war von Anfang an klar, daß „Mandala of Fear“ mehr als nur eine musikalische Reise sein würde. Glücklicherweise kannten Ray und Aimee Daniel White, der schon mehrere Graphic Novels verfasst hat. Er ist ein ausgezeichneter Künstler, und als Ray dem Rest der Band die Idee vorstellte, waren wir alle sofort mit dabei. Wir haben Danny das ganze Album, die Geschichte und Texte geschickt und ihm freie Hand bei der Umsetzung gelassen. Wir hatten einen Riesenspaß an diesem kreativen Prozess teilhaben zu dürfen. Das Ergebnis ist wundervoll und hat unsere Erwartungen übertroffen. Wir hatten übrigens immer schon Lust darauf, etwas Besonderes zu machen. „American Scrap“ haben wir damals parallel als VHS-Kassette veröffentlicht!
[ngg src=“galleries“ ids=“18″ display=“basic_slideshow“]WS: Auf dem Cover des Comics findet sich ein Symbol, das aus Kreuzen und Pentagrammen zu bestehen scheint. Ist das euer „Mandala of Fear“?
KO: Das Symbol hat Nigel Evan Dennis für uns gemacht. Wir nennen es einfach „unsere Rune“. Wir wollten einfach unser eigenes Symbol haben, das die Leute wiedererkennen und mit Huntsmen verbinden. Jeder kann da für sich rausziehen, was er denkt. Ein klassisches Mandala ist es auf jeden Fall nicht.
WS: Wegen Corona musstet ihr jetzt etliche Konzerte absagen. Habt ihr denn Pläne für Konzerte in Europa im Hinterkopf?
KO: Momentan ist es für niemanden möglich auf Tour zu gehen und ich denke, das wird für den Rest des Jahres auch so bleiben. Sobald sich alles beruhigt hat und wir wieder zur Normalität zurückkehren können – was auch immer das dann bedeuten mag – werden wir wieder da draußen sein. Und 2021 sollte dann das Jahr sein, in dem Huntsmen auch nach Europa kommen.
WS: Zum Ende darfst du noch die Frage beantworten, die dir noch nie ein Journalist gestellt hat!
KO: Haha, wir haben echt so viele Interviews in letzter Zeit gemacht und ich hab den Eindruck, ich hab sie alle schon gehört. Eine, die echt selten gestellt wird ist, was ich so treibe, wenn ich keine Musik mache. Dann bin ich gerne daheim mit meiner Frau und meinem Hund Slurms, höre mir Platten an, genehmige mir ab und an einen Drink und daddel Computerspiele. Nichts Besonderes – ich bin ein ganz normaler Typ.
Huntsmen sind:
Chris Kang – Gesang, Gitarre
Marc Stranger-Najjar – Bass, Gesang
Kirill Orlov – Gitarre
Ray Knipe – Schlagzeug, Gesang
Aimee Bueno – Gesang
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