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HI! SPENCER – Selbstfindungstrip

„Nicht Raus, Aber Weiter“ hat sich für mich sehr zwischen den gegensätzlichen Polen des Rauslaufens und Weitermachens gerieben. Das ist bei „Memori“ das komplette Gegenteil, ein angekommen sein. Wie kam das?

Das ist superschön, dass du das so wahrnimmst, denn das ist, was wir mit unserer neuen Platte kommunizieren wollen. Bei unserem letzten Album haben wir noch viel über Ängste gesungen oder Momente, in denen man zweifelt. Jetzt geht es eher darum, was nach der Angst kommt. Das hat natürlich auch mit dem Älterwerden zu tun, den Momenten, in denen man dankbar dafür ist, angekommen zu sein. Das wollten wir im Rahmen der Platte ein bisschen porträtieren. Wir sind eine Band, die sich gerne weiterentwickelt und die Vorgänger-Alben waren schon die Basis, die gelegt wurde, um mit „Memori“ eine neue Tür zu öffnen. Dabei war unsere Single „Von Grau Zu Dir“ das Bindeglied.

Das Design von „Memori“ erinnert an den Bauhaus-Stil, der ja Kunst und Handwerk neuartig zusammengeführt hat. Was führt „Memori“ gekonnt zusammen?

Beim Bauhaus-Stil sind es ja die einzelnen Versatzstücke, die ein Ganzes machen. Wir haben das für „Memori“ so gesehen, dass man die Person, die man ist, eben dadurch wird, wenn man auf die Versatzstücke der eigenen Vergangenheit schaut.

Ihr hattet eine Prelistening-Session: Habt ihr das genossen, in einem so intimen Rahmen über euer neues Werk zu sprechen? Macht man sich da nicht auch gleichzeitig ziemlich verletzlich?

Wir haben das total genossen. Wie toll das ist mit Leuten, die sich dafür – ohne Konzert – einen ganzen Abend lang Zeit nehmen, zusammen vor den Lautsprechern zu sitzen. Natürlich geben wir da auch Informationen zur Entstehung des Albums. Es ist bei uns ja auch ein großer Teil des Entstehungsprozesses, dass wir offen und ehrlich über unsere Gefühle zu den Songs reden und dieser intime Rahmen macht es dann noch viel, viel schöner. Wir hatten einen tollen Abend, der innerhalb von Minuten ausverkauft war – da kann man natürlich davon ausgehen, dass es der Hi! Spencer-Nerdtalk ist.

„Bitte, bitte zieht das daraus, was euch die Musik gerade geben muss.“

„So Schön Allein“ ist ja sehr durch dein Outing geprägt. Möchtest Du den Text als Plädoyer verstanden wissen oder darf den jeder frei für sich interpretieren?

Natürlich ist „So Schön Allein“ ein Song, der aus meiner Perspektive heraus ein sehr krasses emotionales Statement ist. Aber er ist nicht nur auf mein Outing zu projizieren, es ist ein kleiner Ratschlag, dass es sich lohnt, auf die Suche nach sich selbst zu gehen. Im besten Fall kommt man an den Punkt zu sagen, man ist mit sich im Reinen. Es geht um den langen, steinigen Weg der Selbstfindung, da hat jeder sein Päckchen zu tragen, seine eigenen Dämonen. Einen Weg nach vorne zu finden, kann ich nur jedem Menschen empfehlen. Da ich selbst diese Erfahrung gemacht habe – das klingt jetzt sehr pathetisch – aber ich möchte dieses Glück dann natürlich gerne teilen.

Findest du die Indie-/Punk-Szene hält bei aller Diversität auch etwas (zu) sehr an Schubladen fest?

Gerade wenn man sich mittelgroße und große Festivals anschaut – das ist schon ein krasser Männer-Bums im Line-up. Da würde ich mir schon sehr wünschen, dass da auch deutlich mehr Frauen auf die Bühne kommen. Ich glaube, es hakt nicht in der Szene am Verständnis von Diversität. Irgendwo auf dem Weg eine Band zu werden, muss es etwas geben, was Frauen davon abhält. Oder sie kommen nicht durch. Ich kenne das auch aus dem Comedy-Bereich: Wenn eine Mixed-Show gebucht wird, gibt es einen mit Migrationshintergrund, eine Frau, einen Musiker – despektierlich überspitzt gesagt – so funktioniert die Besetzung. Da würde ich mir wünschen, dass das Booking umdenkt. Da wurde zwar ein Prozess angestoßen, aber noch mit viel Luft nach oben.

Wir waren zusammen mit der Band Schrottgrenze auf Tour, die ganz fantastisch für queere Sichtbarkeit stehen und tolle Songs für die Offenheit der LGBT+-Szene haben. Da hatte ich nie das Gefühl, mich nicht wiederzufinden. Das war bei mir immer der rein private Rahmen bei uns auf dem Dorf. Da wurde mir sehr selten suggeriert, es ist ok ein Lebenskonzept, fernab von Hausbau und Familienplanung anzustreben. Ich habe immer gedacht, ich passe hier nicht rein: Behalte lieber für dich, dass du schwul bist. Obwohl das für mich nie ein Problem war, denn ich finde es sehr toll schwul zu sein. Als ich mich aber geoutet habe, waren meine ganzen Ängste unbegründet.

Gleichzeitig genieße ich das sehr, wir haben einen neuen Song auf der Platte „Da Hinten Fängt Die Welt An“ ich komme sehr gerne nach Hause, bin dann in meinem kleinen Kosmos und fühle mich dann beseelt. Das ist Segen und Fluch gleichzeitig in der eigenen kleinen Welt: Alle sind wie ich. Das suggeriert den Leuten, dass sie ihr Umfeld gar nicht spiegeln müssen. Wenn man diesem Lebenskonzept nicht entspricht, empfindet man das v. a. als junger Mensch als Ablehnung.

Warum denkst Du tun sich z. B. Festivals so schwer damit den Fokus auf ein gendergerechtes oder auch inklusives Line-up zu legen?

Ich fände es schön, wenn das eine prominentere Position bekäme, weil wem nimmt man damit etwas? Man gibt ja nur. Das ist bei z. B. bei homophoben Äußerungen auch nichts anderes: Es verweigert Menschen, glücklich zu sein, das macht dich zu einem Arschloch. „Leben und Leben lassen“ ist schnell dahin gesagt, bedeutet aber, es ist einem egal. Ich möchte, dass die Menschen ein zufriedenes Leben führen können. Wenn nur ein kleiner Teil der Gesellschaft durch solche Initiativen abgeholt werden kann, ist doch so viel gewonnen, da muss man nicht kleinkariert und egoistisch auf das Bestehende pochen.

Würde man die Gesellschaftsnormen umdrehen und die Mehrheit wäre plötzlich die Minderheit, mit denselben Reaktionen … Die Quintessenz ist doch: Ich nehme Leuten etwas weg, was mir gerade nicht schadet. Da habe ich einfach kein Verständnis dafür. Ich glaube, die Gesellschaft hat sich da auf einen richtig guten Weg gemacht, aber das Ende ist noch nicht in Sicht.

Was genießt ihr auf Tour gerade am meisten?

Eine verschwitzte Clubshow, dieser Klassenfahrt-Charakter – das hat total gefehlt. Man merkt das aktuell auch: Selten haben wir von Anfang an so viel Energie und Euphorie vor uns. Heute z. B. braucht jeder einen Testnachweis für das Konzert, das ist immer noch sehr ratsam und ich werde mich heute beim Konzert sehr wohlfühlen und 1,5 h mal nicht an Corona denken.

Ist es auch immer etwas mit einem Zittern versehen, ob alle negativ bleiben und die Tour stattfinden kann?

Definitiv. Wir haben uns im Vorfeld der Tour als Regel gesetzt: Wir testen uns täglich, wenn wir zum Merchstand gehen, tragen wir Maske, wir achten darauf, die After-Show-Party auf einen kleineren Rahmen zu beschränken. Toi, toi, toi hat das bislang gut funktioniert. Das Risiko besteht, dann müssten wir die Tour abbrechen, aber wir wollen das jetzt probieren. Die Vorsicht und auch die Verantwortung den Leuten gegenüber zahlt sich bisher aus.

Die Musik ist ja nicht deine einzige Spielwiese, Du tobst dich ja auch auf der Komikerbühne aus – brauchst du diesen beiden Pole?

Es hat sich schnell herausgestellt, dass in mir diese zwei Gefühlslagen schlummern: Diese sehr alberne, welche Leute richtig doll zum Lachen bringt, und die andere Seite, welche ernst zu nehmende bzw. emotional ergreifende Songtexte schreibt. Das schließt sich gegenseitig ja nicht aus, sondern funktioniert gut miteinander. So bin ich, das muss und darf beides raus. Das Ironische daran ist, dass das Touren mit der Band sogar viel lustiger ist als das Touren mit der Comedy.

Fotocredit: Andreas Hornoff

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