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HIGH VIS – Gut für den Moment – Live in Leipzig

Im fetten Anorak, bis zum Hals zugezogen, kam Sayle auf die Bühne und forderte die Zuschauer auf, dicht heranzukommen. Und weil er selbst gleich bei den ersten Takten von „0151“ in jene wilden Bewegungen verfiel, zu denen er auch das Publikum animieren wollte, hielt sein Outfit nicht mal bis zum Songende durch. Der Jacke und des Kappus entledigt, ging er in Begleitung seiner vier Mitmusiker fließend zu „Walking Wires“ über – jener Hymne des Debütalbums „No Sense No Feeling“, die womöglich schon den musikalischen Höhepunkt von High Vis darstellt. Denn die richtig gut getroffene Mischung aus Post Punk, Indie Rock und Shoegaze fand auf dem vor einem Jahr veröffentlichten zweiten Album „Blending“ nicht mehr so prägnant Anwendung. Vielmehr gibt es nun ausladendere Melodien und aus den 1990ern bewährte Britrock-Tunes zu hören.

Beim Konzert wurden die Songs beider Alben sehr effektiv kombiniert. Der permanente Wechsel von Druck und gediegenen Weisen erlaubte einen fast schon ökonomisch zu nennenden Umgang mit den Emotionen und der Ausdauer der Zuschauer. Diese waren aber offenbar eh nicht auf eine Mega-Party aus – vielleicht, weil Sonntagabend war. Jedenfalls hatte der sich anfänglich in Bewegung setzende Moshpit eine überschaubare Größe. Und schon bei den anschließenden „Talk For Hours“ und „Altitude“ blieben nur noch einige wenige Begeisterte übrig, die die Fläche vor der Bühne klarmachten.

Der Rest im gut, aber nicht komplett gefüllten Täubchenthal war wohlwollendes Kopfnicken. Das kann auch daran gelegen haben, dass in der Band keine spürbare innere Dynamik herrschte. Beide Gitarristen gaben sich erstaunlich bewegungslos, nur Rob Moss wippte dezent und Basser-typisch über die Bühne. Die einzige Bezugsperson für Sayle scheint Drummer Edward Harper zu sein. Ansonsten wirkte des Sängers Aggro-Tanz seltsam losgelöst vom Rest der Bühnenbesetzung.

Dafür bettreibt Sayle echte Schwerstarbeit, ist mehrfach nur knapp vorm Ausrasten. Mit manisch dahingehusteten Ansagen im breitesten Cockney und unter häufiger Verwendung des Wortes fuckin bedankte er sich mehrfach beim Publikum, das alles für die Band bedeute und gegenseitig aufeinander achtgeben solle, so Sayle.

Der Gig nahm beinahe ein vorzeitiges Ende, als zu „Trauma Bonds“ ein reges Stagediving einsetzte. Zuerst knackte es verdächtig im Mikrofonkanal, dann fiel plötzlich die gesamte Akkustik aus, und nur das Schlagzeug spielte noch einige einsame Takte. Das Publikum verfolgte geduldig das einsetzende Treiben auf der Bühne, und so mancher verließ bereits den Saal. Einzig als Sayle a cappella „Wonderwall“ abstimmte, setzte das Publikum sofort mit ein – hielt aber lediglich nur eine Strophe lang durch. Nach ein paar Minuten war der Ton dann aber wieder da, und Sayle ordinierte mit dem Sprichwort „If it’s nice, play it twice“ die Wiederholung des abgebrochenen Songs an.

Damit konnte die Stimmung für das Konzertfinale noch einmal hochgeheizt werden. Mit „The Bastard Inside“ versetzte sich Sayle selbst in maximale Anspannung, und seiner Aufforderung „go wild!“ kam dann zu „Choose To Lose“ ein ansehnlicher Teil des Publikums nach. Nach weniger als einer Stunde war dann aber auch schon Schluss. High Vis haben so ein gutes Sonntagabendprogramm geliefert – aber wohl nichts, was lange in Herz und Hirn hängen bleibt.

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