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Grau im Licht

Eine Band, die man niemandem mehr vorstellen muss, stemmt ihre Musik gegen das Unvorstellbare: Diary of Dreams, oft geadelt als die letzten großen Darkwave-Wale, treten von der Tafel zurück und entdecken die Bedrohlichkeit der Seuche Mensch. Anderthalb Jahre nach ‚Elegies In Darkness‘ besteht aller Grund, mal ein wenig Bestürzen ins Spektrum aufzunehmen und – so wurde kommuniziert – ein Zeichen zu setzen für Mitgefühl und Güte, bevor diese grausame, von Leid, Gewalt, Manipulation und Machthunger bestimmte Welt jeden Einzelnen von uns in den Wahnsinn treibt. Doch obwohl Mastermind Adrian Hates globale Missstände als Inspiration anführt und von Tatendrang beseelt zu sein schien, ist das Ambiente auch auf ‚Grau im Licht“ wieder aller Farben beraubt, nach bewährtem Muster gestrickt – und zunächst in keiner erkennbaren Weise politisch: „Ich“ und „Du“ sind die Hauptdarsteller, und alles Kaputte, das sie verbindet, ist die Essenz eines jeden Klanges. Wie aber den Makrokosmos flicken, wenn die Mikrokosmen kranken?

Diary of Dreams machen dem ihnen vorauseilenden Ruf als Ablieferer alle Ehre. Und auch wenn dabei fast schon traditionsgemäß die Überraschungen ausbleiben, erweisen sich die Aufenthalte im emotionalen Ödland nur selten als öde Angelegenheit. Das wieder einmal überdurchschnittlich lang geratene ‚Grau im Licht‘ bildet da keine Ausnahme und klingt, wie zu erwarten gewesen war: Saftige Geschoss-Einschläge aus der Drum Machine, stacheldrahtbewährte, brüsk aus der schwarzen Suppe hochschießende Gitarrenbarrieren und im Zentrum Adrian Hates‘ sonorer, geeister Semi-Sprechgesang – mal herrisches Stoßgebet, mal robotischer Kampfschrei, in den Strophen mit dem ebenjenem narrativen Sog ausgestattet, der die Hörer der Band seit man denken kann bei der Stange hält. Oft geht es ums Aufgeben, ums Loslassen und das Ziehen von Schlussstrichen; die Wortwahl ist weltlich und einfach gehalten, aber doch irgendwie erdrückend düster.

Balladeske, klaviergetragene Tracks voller bitterer Resignation wie ‚Ikarus‘, ein Stück über verlorenes Vertrauen und zwischenmenschliche Entfremdung, sind für Diary of Dreams-Alben nach wie vor ein Muss und leisten trotz langer Tradition weitaus mehr als Dienst nach Vorschrift. Es grenzt an Magie, wie diese Band sich nie neu erfindet, aber Mal für Mal ins Schwarze trifft und jede vermeintliche Staubschicht als frische Asche ausweist. ‚Grau im Licht‘ ist ein Dorn von einem Album und klingt, wie vollendete Tatsachen nun mal so klingen: knallhart, eiskalt und unmissverständlich.

Ein Blick auf die Tracklist offenbart dann auch wieder die Steck-Wortspielchen, die Hates so liebt (‚Sinferno‘, ‚SinnFlut‘, ‚mitGift‘). Gestandenen DoD-Hörern wird es ein Leichtes sein, nach nur wenigen Sekunden in diese Platte hineinzufinden, und sie wieder aus dem Gehör zu tilgen, entsprechend schwer fallen. Insofern haben Diary of Dreams einmal mehr alles richtig gemacht – mit einer Strategie, die sie wohl noch weitere zwanzig Jahre bedenkenlos verfolgen können, denn murren wird aller Voraussicht nach auch weiterhin niemand so schnell.

Wo genau in diesem vor Kälte nur so strotzenden Opus Diary of Dreams nun eine Lanze für Mitgefühl und Güte gebrochen haben wollen (wenn nicht in Unmengen an warnenden Beispielen), bleibt allerdings schleierhaft. Das große Finale lässt dahingehend kaum noch sinnvolle Deutungen zu: Über fünf Minuten wird hier der Farbe, dem Wort, dem Symbol „Weiß“ der Willen gebrochen. Nahezu dieselbe Zeit ist dem Nachhall zugestanden: Aus weiß wurde grau wurde schwarz wurde ein dünnes, subtiles Fiepen, mit dem sich Hates & Co. über weitere fünf Minuten aus der Spielzeit stehlen. Ein klassisches Ende bleibt dem zwölften Studioalbum der Gothic-Koryphäen damit verwehrt. Stattdessen bricht eine Art akustische Strahlenkrankheit aus, mit der die Grundbeklommenheit dieser Platte dann endgültig ihre Widerhaken verankert. Mission erfüllt: Der Bann hält an.

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