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Godspeed You! Black Emperor – Fußvolk im Thronsaal

Als sich ein Mantel tiefen Dröhnens über den Geräuschpegel im Saal legt, scheint endgültig erwiesen: Ganz bald werden Godspeed You! Black Emperor hier einziehen. Allerdings ist im Postrock-Kosmos unter anderem auch zeitlich ein anderes Maß anzulegen. „Ganz bald“ zieht sich nicht selten noch etwas hin, und auch heute sollten noch lange Minuten verstreichen, bis wirklich jedes Rädchen des altehrwürdigen Postrock-Getriebes an seinem Platz befindet und das „Hope Drone“ in voller Blüte steht. Dafür werden unter anderem zwei Schlagzeuger bemüht, Becken mit Bögen gespielt und Gitarren mit Schraubenziehern. Ja, im Post-Rock betreiben selbst die Hochgeborenen noch echtes Handwerk.

Als schließlich alle acht Musiker auf Position sind, ist aus dem anfänglichen Dröhnen ein Fundament erwachsen – der Fels, auf dem Godspeed You! Black Emperor ihre Pop-Up-Kirche bauen wollen. Ein gewaltiges, vibrierendes Plateau für alles Brummende, Sirrende und Himmelhochjauchzend-Zutodebetrübte, was noch folgen soll. Und das ist nicht wenig: Das komplette Album ‚Asunder, Sweet And Other Distress‘, in der Ursprungsform nicht ohne Grund ‚Behemoth‘ genannt, wird in seiner ganzen dunklen Pracht am Stück aufgeführt.

Mit seinen mehr als vorteilhaften akustischen Voraussetzungen und prunkvollen Stuckatur ist das Huxley’s gerade gut genug hergerichtet für die Majestäten des großen Instrumental-Kinos. Die im Sektierer-Kreis formierten Musiker hingegen gehen mit dem von ihnen gewohnten Understatement zu Werke. Moderat bekleidet, ohne große Geste und oft auch sitzend verschwimmen die Kaiserlichen im schummrigen Lichtsmog nahezu mit ihrem Instrumentarium. Genau wie die dargebotenen Stücke sich in konzentrierter Handarbeit zu einem großen, epischen Ganzen zusammenfügen. Da kann es dann auch passieren, dass sich ein für lange passé gehaltenes Thema nach zehn oder fünfzehn Minuten plötzlich wieder aus dem Lärm pellt, aufgegriffen und sich im Publikum umso bereitwilliger darauf eingelassen wird.

Die fehlende Interaktion mit dem scheinbar kaum mehr als gedulteten Publikum ersetzen karge, aber doch auf ihre Weise faszinierende Visuals: Über den Backdrop flackern Bilder von Schutt, Wüste und Anblicke ähnlicher Tristesse, ins Nichts flüchtende Schafe, vor Schreck erstarrtes Damwild. Spätestens als Artwork-Fragmente des Genre-Meilensteins ‚Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas to Heaven!‘ auftauchen, ist klar: Es gibt noch Garnitur oben drauf. Und die kann sich – aller klanglichen Verschrobenheit zum Trotz – hören lassen, zumal das Post-Rock-Ensemble live noch lange nicht immer so freigiebig mit Melodien umgeht. Heute wird nicht zuletzt dank der Akustik im Saale keinerlei Brei angerührt und es genügt, das Gespielte vorsichtig durch ein Sieb zu streichen.

Und so lässt das Publikum sich abwechselnd beflügeln und auf die Folter spannen. Kontraktion, Relaxation, verbunden durch Karamellfäden, bis GY!BE sich am Ende einen Moment ganz unmajestätisch und verstauen wie normale Handwerker die Ausrüstung. Efrim Menuck hat für einen kurzen Augenblick – außer Bart und Haar – auch ein Gesicht und Mike Moya dreht sich mit schüchternem lächeln und der Spur eines Winkens in Richtung Backstage. Alles endet, wie es begann: ganz allmählich und völlig unbeeindruckt vom natürlichen Lauf der Zeit. Die Festgäste sind in sich ver-, die Post-Rock-Monolithen zusammengesunken. Nach und nach werden die Verstärker mundtot gemacht; in den Ohren verbleibt ein wohliges Summen. Es ist der warme Entzug nach einer stummen, aber stürmischen Audienz, die eines einmal mehr klarstellte: Godspeed You! Black Emperor sind und bleiben die Wundersamsten im Genre. Und die GY!LEsten sowieso.

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