Eyevory – Die Wanderung durch Inphantasia
„Whiskey-Soda präsentiert die aktuelle Tour des hanseatischen Prog-Rock-Quartetts. Wir haben es uns daher natürlich nicht nehmen lassen, beim Heimspiel der Band in Bremen mit dabei zu sein, zumal der Abend kein normales Konzert versprach: Eyevory hatten musikalische Gäste, ein Streichquartett und einen ganzen Kinderchor zur Unterstützung angekündigt. So etwas spricht sich natürlich herum, und außerdem können die vier Musiker natürlich in ihrer Heimat auf eine treue Fangemeinde zählen. Der Kulturbahnhof Vegesack im Bremer Norden ist daher auch pünktlich zum Konzertbeginn mit zahlreichen Fans und Freunden der Band gefüllt, wobei die hinteren Stuhlreihen allerdings leer bleiben. Stuhlreihen? Richtig gelesen, dieses Rockkonzert ist komplett bestuhlt, und das passt irgendwie zur Atmosphäre und zum rustikalen Kuschelcharme des Kulturbahnhofs. Hier soll heute schließlich nicht wild gerockt und gemosht werden, hier geht es um die Erfahrung und den Genuss komplexer Musik. Entsprechend sieht man auch überwiegend ganz normal gekleidete Damen und Herren in den mittleren Jahren im Publikum sitzen. Bandshirts sind die Ausnahme, und die langen Haare bleiben heute überwiegend den weiblichen Gästen vorbehalten.
„Schließlich wird das Licht gedämpft, und zunächst einmal betritt die junge Wahlbremerin Nia Wohlgemuth die Bühne. Die junge Frau hat an der Hochschule für Künste Gesang und Jazz studiert und tritt normalerweise entweder gemeinsam mit einer Cellistin oder sogar mit kompletter Band auf, ist heute aber auch sich allein gestellt. Die Songwriterin musste kurzfristig für die Gothic Metal Band „A Sickness Until Death“ einspringen. Der Act heißt passenderweise NIA, und eben jene Nia unterhält das Publikum eine halbe Stunde lang mit akustischem Folk und Pop auf ihrer Gitarre. Der gefällige Gesang kann überzeugen, und die Songwriterin erntet einigen Applaus. Auch ohne weitere Begleitung schafft es die junge Frau, mit ihren fröhlichen aber auch melancholischen Texten bei den Zuhörern zu punkten, wobei man sich musikalisch etwas mehr Abwechslung gewünscht hätte. Ob trauriger oder froher Text: Die Lagerfeuer-Gitarrenakkorde klingen irgendwie immer gleich.
„Dann aber gehört der Abend Eyevory. Während das Intro der neuen CD Inphantasia erschallt, betreten die beiden Frontfrauen Jana Frank und Kaja Fischer die Bühne. Hinter ihnen nehmen Schlagzeuger Arne Suter und Gitarrist und Keyboarder David Merz ihre Positionen ein, während vier weitere Musiker ebenfalls im Halbrund Platz nehmen: Eyevory haben ein Streichquartett mitgebracht. Neben den beiden Violinistinnen und der sehr kurzfristig eingesprungenen Dame an der Bratsche ist auch Alexander Schuhmann mit seinem Cello dabei, der bereits diesen Part auch auf dem Album eingespielt hat.
Eyevorys progressive Rockmusik unterscheidet sich durch die Instrumentierung von vielen anderen Acts. Zwei gleichberechtigte Sängerinnen und der dominierende Einsatz der Querflöte sorgen für Abwechslung. Prog-Rock, Pop, Folk und hin und wieder sogar ein paar Metal-Riffs der ansonsten eher im Hintergrund bleibenden Gitarre zeichnen den gut abgemischten Sound aus. Dank der aufgestellten Schallschutzwand gehen die filigranen Streicher nicht unter neben dem Schlagzeug, an dem Drummer-Neuzugang Arne Suter Schwerstarbeit verrichtet. Die musikalische Mischung stimmt und überzeugt auch das Bremer Publikum schnell. Schade zwar, dass die rustikale Halle weiterhin nur halb gefüllt ist, aber das tut dem lautstarken Applaus keinen Abbruch.
„Die erste Konzerthälfte gehört dem Album „Inphantasia“, dessen erste Hälfte komplett durchgespielt wird. Der Bremer Dom(kinder)chor nimmt in weißen Gewändern immer wieder im Hintergrund Aufstellung und unterstützt die notwendigen Songpassagen gesanglich. Das klingt gut, wobei man sich bei den Gesichtern der Jungs und Mädels allerdings fragen muss, ob diese nicht lieber woanders gewesen wären. Ganz glücklich sehen sie nicht aus bei dem, was sie da tun.
Zum Finale des epischen Songs ‚Mundalis‘ holt sich die Flötistin und Sängerin Kaja Fischer einen weiteren Gast auf die Bühne. Sie wird mit einer zweiten Querflöte vom Bremer Musiker Christoph Riedlberger unterstützt. Die Flöten dominieren über der Gitarre, wie generell die Gitarrenklänge bei Eyevory zunehmend in den Hintergrund treten. Wenn er dann aber gebraucht wird, ist David Merz mit seinem Instrument zur Stelle und präsentiert im Konzert immer wieder kleine Gitarrensoli und sorgt für den nötigen „Drive“. Apropos Drive: Im weiteren Verlauf des Abends wird sich das abgestellte Cello noch selbstständig machen und vom Ständer zu Boden fallen. Zum Glück ohne bleibende Schäden.
„Nach einer halbstündigen Pause geht es mit einer Art „Best of Eyevory“ weiter, wobei zunächst der Schwerpunkt weiterhin bei „Inphantasia“ liegt, dann aber natürlich auch Songs des Vorgängeralbums „Euphobia“ auf dem Programm stehen. Eine Reise zurück zur ersten EP von 2012 gibt es mit ‚Mi Corazón‘ und ‚The Tower‘. Zur abschließenden Ballade ‚Hope‘ dürfen noch einmal die Streicher auf die Bühne. Zum Glück ist dem Cello bei besagtem Sturz nichts passiert, so dass alle zum Finale des Konzertes noch einmal in schwelgenden Streicherklängen dahinschmelzen dürfen.
Der anhaltende Applaus für alle ist mehr als verdient. Eyevory haben live wieder einmal gezeigt, dass sie die Komplexität ihrer Musik auch auf der Bühne packend und gefühlvoll umsetzen können. Da mag man gerne durch Inphantasia wandern und dem grauen Alltag zumindest für einen Abend lang entfliehen.
Setlist Eyevory, Kulturbahnhof Bremen-Vegesack, 26.11.2016:
Prologue (Intro)
La Cage
The Star
Inphantasia
Tartarus
Elysium
Mundalis
Pictures
Human
The Perfect Empire
Sacrifice
1001 Nights
Divided
Mi Corazón
In My Dreams
The Tower
Requiem Aeternam
Hope
Bericht und Fotos: Michael Buch
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