Euroblast 2015 – Tag 3 mit Vola, Leprous und Cynic
“ Der dritte und letzte Festivaltag beim Euroblast beginnt mit den fünf Griechen von Tardive Dyskinesia, die Tags zuvor entspannt und humorvoll bereits beim Whiskey-Soda-Interview Sympathiepunkte sammeln konnten. Bereits das zweite Mal auf dem Kölner Festival zu Besuch setzt das Quintett sowohl mit seinem Sound als auch seiner Power-Performance eine beeindruckende Marke als Opener des Tages. Bedauerlicherweise bereits um Viertel nach Eins legen die Jungs aus Athen los – bedauerlicherweise, weil zu dieser Zeit erst etwa 60 Freunde harter Klänge ihren Weg vor die Hauptbühne der Essigfabrik gefunden haben und so eine talentierte und innovative Band verpassen. Sänger Manthos‘ Hammer-Screams (garniert mit jeder Menge Bewegung und Headbanging) kommen deutlich aus der Djent-Abteilung, während Drummer Nicos und Gitarrist Petros eher den Metal-Part der Band verkörpern. Kein Widerspruch, denn die Band hat spätestens mit Album Nummer Drei seinen eigenen Stil gefunden, der die unterschiedlichen Einflüsse gelungen vereint. Das vierte Werk wird gerade von Gitarrist und Produzent Steve Lado abgemischt und steht den Fans der Band in den kommenden Monaten ins Haus.
„Vola aus Dänemark kühlen die Hitze und die Power herunter – jedoch nicht die Klasse und die Gänsehaut. Inzwischen haben auch eine ganze Menge Festivalbesucher ausgeschlafen und sind in der Halle eingetrudelt. Schätzungsweise 400 Musikfreaks lauschen dem genau richtigen Sound, um den Samstag gediegen anfloaten zu lassen. 70er-Jahre-Keyboards gepaart mit Modern-Prog-Riffs und sehr ruhigem Gesang präsentiert der Vierer aus Kopenhagen und geht damit in die Richtung von Soen und Leprous. Die zweite Gitarre fehlt, dementsprechend hat ist das wundervolle Keyboard sehr präsent und prägt den Stil der Band stark. Gefühlvoll geht es zu, mal poppig, mal groovig – aber stets sehr präsent und mit einem Hauch von Melancholie umgeben verzaubern die vier Skandinavier das Euroblast-Publikum bei ihrem Deutschland-Debüt und sorgen bereits am frühen Nachmittag für rauschenden Applaus.
„Mit Persefone gibt es dann wieder deutlich heftiger auf die Ohren. Das Progressive-Death-Metal-Sextett kommt aus dem Zwergstaat Andorra, von dem jeder schon einmal etwas gehört hat, aber keiner etwas genaueres sagen kann. In ihrer in den Pyrenäen gelegenen Heimat sind die Jungs lebendiger Bestandteil der regionalen Musikszene und teilen sich Drummer „Sergi“ mit der Prog-Metal-Band Nami. Vom Gesang einmal abgesehen, der sich irgendwo zwischen Djent-Screams und Death-Metal-Growls bewegt, ist hier eine echte Metal-Band am Werk. Endlich einmal Solos an Gitarre und Keyboard, die keine reinen Turnübungen für die Finger sind, sondern anstecken und zum Bangen animieren. Miguel Espinosa am Keyboard konterkariert die Screams vom oberkörperfreien Frontmann Marc Martins mit warmem Klargesang und melodiösen Tastenausflügen. Gegen Ende des Auftritts punkten die Senores zusätzlich bei den anwesenden Nerds durch ein Medley aus dem Star-Wars-Universum. „Wir bemühen uns, professionell und lustig zu sein“, grinst Gitarrist Carlos Lozano später bei einem Bier vor der Halle, als er auf den musikalischen Wink unter Nerds angesprochen wird.
Im Keller geht es für das Whiskey-Soda-Team nach einem Interview-Marathon am späten Nachmittag dann um 20 Uhr weiter mit Tides from Nebula aus Polen. Und wie es weitergeht! Die nächste Hammerband, dieses Mal wieder aus der Gänsehaut-Abteilung sorgt für entrückte Gesichter vor der Bühne im spärlich beleuchteten Euroblast-Keller. Aber eine grelle Licht-Show würde ohnehin nicht zu der grandiosen Postrock-Band passen. Kerzen wären da schon wesentlich stimmiger. Der cinematisch-triumphale Ambient-Post-Rock der Osteuropäer erinnert an Genre-Kollegen wie Solstafir oder Long Distance Calling – und hat dabei doch sein ganz eigenes musikalisches Konzept mit hohem Wiedererkennungswert.
„Den haben eindeutig auch die Norweger von Leprous, die sich über die letzten Jahre von einem Geheimtipp der progressiven Rockmusik zu etwas Ambitionierterem gemausert haben. Doch vor deren Auftritt verabschiedet sich das ganze Euroblast-Team von den Besuchern des Festivals. Dem Gewinner der verlosten 8-saitigen Ibanez Gitarre wird sein Preis überreicht und Euroblast-Gründer John drückt seinem Team und den Besuchern sprachlosen Dank aus. Zum Schluss nimmt er unter Johlen und Klatschen gemeinsam mit Festival-Co-Leiter Daniel ein Crowdsurfing-Bad in der Menge.
„Dann sind Leprous dran – Stichwort Wiedererkennungswert. Die Entwicklung der Band über die drei letzten Alben ist atemberaubend – und das nicht, weil da noch Mankos gewesen wären. Die vier Skandinavier hatten in ihrer Anfangszeit vor Veröffentlichung des ersten Albums lange an ihrem Sound gefeilt und als Live-Band von Emperor-Frontmann Isahn Live-Erfahrung gesammelt. Mit drei Alben in den letzten vier Jahren hat die Band um Frontmann Einar Solberg ihren einzigartigen Stil mutig weiterentwickelt, der so einfach dann auch gar nicht zu beschreiben ist. Leprous sind auf unnachahmliche Weise emotionsgeladen. Wenn die Musiker die Bühne betreten, erhält man den Eindruck, als verschmelzen die Synapsen aller Mitglieder zu einem einzigen Knoten aus Energie, Emotionen und Klang. Nur um dann wieder und wieder in Endorphin-Wellen von der Bühne aus über das Publikum hinwegzufluten. Auf der Euroblast-Bühne sind vier Flachbildschirme installiert, die eine trostlose Video-Installation zeigt, die die Musik erstklassig optisch untermalen. Sänger Einar schraubt und dreht an seinem Synthesizer herum, während seine Stimme trotz der Klasse seiner Mitmusiker das mächtigste Instrument auf der Bühne bleibt. Der Stimmumfang und Power des blonden Sängers ist wahrlich beeindruckend und der warme, klare Gesang korrespondiert exzellent mit den Gitarren und Drums von Schlagzeuger Baard Kolstad. Songs wie ‚Rewind‘ und ‚The Price‘ zeigen die Klasse dieser Band auf dem Weg nach oben.
Zum Abschluss des Festivals steht eine Band auf der Bühne, deren unbestritten prägender Einfluss auf progressive, experimentelle Rockmusik auch von Festival-Gastgeber John nochmals mit Nachdruck erwähnt wird. Cynic begannen als Thrash-begeistertes Death-Metal-Duo aus Paul Masvidal (Gitarre) und Sean Reinert (Schlagzeug) im Florida der späten 80er Jahre. 1991 waren Reinert und Masvidal an der Entstehung des Death Meilensteins „Human“ beteiligt, im gleichen Jahr legten sie mit ihrem Debüt „Focus“ selbst ein Meilenstein des Progressive Metal vor. Nach Auflösung 1994 und Wiedervereinigung 2007 folgten die Alben „Traced in Air“ (2008), „The Portal Tapes“ (2012) und „Kindly Bent to Free Us“ (2014). In jüngster Zeit hatten die beiden Bandgründer durch ihr Outing und wenige Wochen vor dem Auftritt in Köln zudem durch die erneute Auflösung der Band mehr von sich reden gemacht als über ihre Musik. Offensichtlich hatte Reinert seinen Ausstieg aus der Band als Auflösung der Band bekannt gegeben, was Masvidal nur kurz danach überrascht via Facebook dementierte. Der Auftritt auf dem Euroblast stand auf der Kippe und letztlich mussten alle weiteren Termine der geplanten Europa-Tour durch den Ausstieg von Reinert abgesagt werden. Schlagzeuger Matt Lynch von Trioscapes konnte von Masvidal für den Euroblast-Auftritt gewonnen werden und paukte sich in nur 2 Wochen die gesamte Setlist rein – laut Masvidal „der pure Irrsinn“.
„Death-Metal sind Cynic schon lange nicht mehr, auch wenn sowohl die Jazz- als auch Metal-Einflüsse seit den frühen Tagen auch im aktuellen Album nach wie vor deutlich zu hören sind. Neben Masvidal und Lynch steht mit Paul Malone der Ur-Bassist von Cynic mit auf der Festivalbühne und der Applaus spricht für sich. Der Respekt vor dieser Band ist bei den meisten Zuschauern offenbar tief eingegraben. Masvidal kommt von Beginn an dankbar, charismatisch und ausgeglichen beim Publikum an – ganz unabhängig von der Klasse an seinem Instrument. Auf das instrumentale ‚Evolutionary Sleeper‘ folgt ‚Veil of Maya‘ vom Debüt „Focus“. Beinahe andächtig-versunken sieht Masvidal häufig auf seine Strandberg-Custom-Gitarre „Masvidalien“ hinunter. Der Gesang läuft über den Vocoder, für den die Band bekannt ist und die die Stimme Masvidals stark verfremdet. Den Stil Cynics zu beschreiben, ist dagegen nicht einfach.
„Neben dem Gesang und dem die Band stark prägenden Zusammenspiel seiner einzelnen Musiker ist wohl unbedingt die grosse emotionale Strahlkraft der Musik zu erwähnen. Hinzu kommt eine Video-Installation links und rechts der Bühne, die neben dem kaleidoscopartigen Video zu ‚True Hallucination Speak‘ Elemente aus den Artworks des inzwischen verstorbenen Künstlers Robert Venosa zeigt. Die surrealen, bewegten Bilder passen ausgezeichnet zu den Klängen der Band wie dem exstatischen ‚Moon Heart Sun Head‘ oder dem mal meditativen, mal eruptiven ‚The Space For This‘. Mehrmals spricht Masvidal sein Publikum direkt an, angelehnt an seine Texte über philosophische Themen und scheut dabei auch nicht vor der Schönheit des Todes zurück. Der caritativ tätige Musiker spricht mit einer gewissen Demut, aber deutlich spürbarer Authentizität über die Dinge, die ihn beschäftigen und offensichtlich prägen. Ein Mann mit Profil, der nicht nur Künstler und begnadeter Musiker ist. So vergeht mit der packenden Präsenz auf unterschiedlichsten Wahrnehmungsebenen der 90-minütige Auftritt wie im Flug und mit dem Titelsong von „Kindly Bent To Free Us“ und ‚The Lion’s Roar‘ vom gleichen Album endet das Festival mit zwei dicken Ausrufezeichen. Diesen einzigartigen Auftritt hätte ohnehin keine andere Band toppen können, zumal die Zukunft der Band unklar ist. Die absolut richtige Entscheidung der Veranstalter also, Cynic zum Höhepunkt des gelungenen Festivals auftreten zu lassen.
Drei Tage einzigartige Musik in entspannt-sympathischer Atmosphäre – das Euroblast Festival war auch dieses Jahr eine Reise wert. Das konnte nicht nur auf der Weltkarte, die die Veranstalter auf dem Gelände aufgehängt hatten und wo sich die Gäste aus aller Welt einzeichnen konnten, festgestellt werden. Es war das Gesamterlebnis, die Gemeinschaft unter gleichgesinnten, und die Begeisterung war vielen Besuchern im zufriedenen Gesicht abzulesen. Oder um es mit einer englischen Redewendung stellvertretend für die vielen zufriedenen Gesichter auf den Punkt zu bringen: „We truly had a blast, Euroblast!“
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Hier geht’s zum Bericht vom zweiten Tag.
Fotos: Michael Buch
Text: Daniel Frick