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Empath

Devin Townsend lebt seit seit seinem Einstieg ins Profibusiness in einer andauernden Serie von Existenzkrisen. So unschön das für ihn selbst ist, als Fan zieht man dank der daraus resultierenden Alben einen enormen Nutzen. Mit dem neuen Album „Empath“ kündigt Townsend nun – nicht zum ersten Mal – einen Neustart an. Seine bisherige Karriere war immer von einer gewissen Dualität bestimmt – die hasserfüllten Alben von Strapping Young Lad entstanden zeitgleich mit positiv gestimmten Werken wie „Ocean Machine“ oder „Synchestra“, dem chaotischen „Deconstruction“ stellte er das New-Age-lastige „Ghost“ entgegen, das spaßig-überdrehte Metal-Musical „Dark Matters“ erschien gar als Doppel-CD mit seinem melancholischen Gegenstück „Sky Blue“. Auf „Empath“ soll nun alles Eins werden – die dunkle Seite soll nun mit der hellen Seite verschmelzen und im Endstadium eine Welt erschaffen, in der die bösen Monster und die friedlichen Lebewesen in Balance miteinander koexistieren. So Devins im Vorfeld verkündeter Plan.

Wem das schon zu esoterisch klingt, der sollte bei „Empath“ sofort Reißaus nehmen. Denn im Vergleich zu diesem Album agieren sowohl Neal Morse als auch Watain außerordentlich subtil mit ihren spirituellen Botschaften. Ein „vergeistigteres“ Album muss man im Pop-/Rock-Sektor wirklich lange suchen – und das ist nicht einmal negativ gemeint, sondern, wie das Statement von Devin, einfach eine Realität von „Empath“. Um diese Botschaft adäquat umzusetzen, bedient sich Devin aller möglichen Stilelemente, die er in seiner Karriere ausprobiert hat. Metal, Prog, sakral klingende Chormusik, New Age, Industrial, Pop, Musical, Country, Klassik, Avantgarde, Stadionrock, Elektronik, Atonales, Kinderlieder, erstmals sogar ein wenig Reggae – wirklich alles wird diesmal durch den Mixer gejagt und oft im selben Song verwurstet. Mal wähnt man sich klanglich wieder zurück in der ‚rainy season‘, mal gibt es Geräuschkulissen wie im „Devlab“, mal bestaunt man die Schönheit der Natur wie auf „Terria“, mal sieht man den körperlosen „Ghost“ über Allem schweben und schlußendlich wird das Meiste wieder in den modernen Metal, das „new black“ geschleudert. Die Songstrukturen sind deshalb alles Andere als einfach und leicht nachvollziehbar geraten – stilistisch am nächsten ist „Empath“ wohl, auch wegen des dominierenden Orchesters, dem legendär verfrickelten 2007er „Deconstruction“-Werk. Im Vergleich zu „Deconstruction“ findet man aber aufgrund vieler hochmelodischer Gesangslinien zu „Empath“ weit leichter Zugang, und auch der Sound wirkt trotz höchstmöglichem Bombast weniger überladen. Die opulenten Orchester- und Chorarrangements gehen diesmal eindeutig zu Lasten der nur in der zweiten Reihe agierenden Gitarren, und die früher so prägnanten Synthiewände fehlen fast völlig. Das ist ungewöhnlich und klingt für die Metal-Fraktion vordergründig vielleicht sogar negativ, ist aber exakt das Richtige für die Songs und läßt „Empath“ weit weniger stressig als das erwähnte „Deconstruction“ wirken. Einziger Kritikpunkt: die Vocals vergräbt Devin wie auf den Vorgängern leider wieder unter einer Tonne an Chören. Sehr schade, denn ich würde wirklich gerne mal wieder den wie immer ehrfurchtgebietenden Ausnahme-Gesang so im Vordergrund stehend hören wie zuletzt auf „Epicloud“ der Fall war.

Das Einzige, was man auf „Empath“ wirklich nicht findet, ist greifbare Aggression. Selbst in den brutalsten, mit Deathgrunts versehenen Double-Bass-Attacken des Strapping-Young-Lad-mäßigen ‚Hear Me‘ oder den Blastbeat-Eruptionen in ‚Singularity‘ steht ein durchweg positives Feeling im Vordergrund, und darüber schwebt Devin im Schneidersitz als Ober-Buddha, der jedem die Message von Selbstliebe, Balance und Frieden bringt – auch wenn er sie mal schreien muss. Das führt leider dazu, dass das geplante Taiji des Albums doch unvollständig bleibt. Auch der lange Jahre typische Townsend-Humor fehlt leider wie schon auf „Sky Blue“ und „Transcendence“ fast komplett, aber daran hat man sich ja mittlerweile schon ein wenig gewöhnt. Somit sieht sich der Schreiber dieser Zeilen in der ungewöhnlichen Lage, an einem musikalisch unfassbar abwechslungsreichen Album ausgerechnet fehlende Abwechslung – nämlich in Sachen Atmosphäre – zu kritisieren. Vielleicht ist „Empath“ aber mit 74 Minute Spielzeit auch einfach ein klein wenig zu lang ausgefallen. An dem Punkt, wo der Albumhöhepunkt ‚Singularity‘ noch einmal für 23 Minuten alle Register zieht, hat man wohl selbst als „trainierter“ Prog-Fan bei den ersten zehn Durchgängen bereits seine Aufmerksamkeitsspanne überschritten. Allerdings fällt mir beim besten Willen nicht ein, was man an welcher Stelle des Albums kürzen oder weglassen könnte – die ersten 51 Minuten fließen vollkommen organisch und funktionieren wohl auch nur synergetisch, und auch das dem folgende ‚Singularity‘ ist quasi in seiner Edelgaskonfiguration angekommen. Anders ausgedrückt: Et iss, wie et iss.

Wo „Empath“ auf Dauer im Vergleich mit Klassikern wie „City“, „Ocean Machine“, „Casualties Of Cool“ oder „Epicloud“ einzusortieren ist, bleibt abzuwarten und ist wohl frühestens in ein paar Jahren zu beurteilen. Die vergleichsweise schwachen „Sky Blue“ und „Transcendence“ (bei dem die Demo-Bonus-Disc mehr Spaß machte als das eigentliche Album) macht es aber ohne Frage vergessen, und auch ohne Dauertest ist „Empath“ definitiv eines von Devins interessantesten Alben geworden. Und das ist, wie Kenner seines Backkataloges bestätigen werden, auch schon mal ’ne ganze Menge wert…

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