Death – Reise in die Vergangenheit einer Legende
„Besondere Ironie der Tour: Die ursprünglich als Support gebuchten Massacre aus Florida, deren Rick Rozz und Kam Lee Mitte der 80er mit Schuldiner zu den Gründungsmitgliedern von Death gehörten, dann aber ausstiegen, haben sich Ende 2014 aufgelöst. So blieben nur noch die französischen Death-Thrasher Loudblast und die Kalifornischen Technical-Deather Abysmal Dawn als Vorbands übrig, die aber einen absoluten soliden Job machten, auch wenn die beiden Sets nur je 30 Minuten dauerten. Loudblast aus Nordfrankreich eröffneten den Abend. Die Franzosen gehörten Mitte der 80er zu den Wegbereiter des Genres in ihrer Heimat und sind nach einer kurzen Auflösung Ende der 90er wieder aktiv. Kurz vor dem 30. Geburtstag hat die Band im vergangenen Mai ihr jüngstes Werk „Burial Ground“ veröffentlicht, mit dessen ‚Bloody Oath‘ der Vierer um Sänger Stéphane Buriez den Abend fett eröffnen. Perfekte Lautstärke und Soundmix fallem jedem der rund 200 Metalheads der gut gefüllten Alten Kaserne in Zürich sofort auf – neben der schlafwandlerischen Beherrschung der Instrumente. ‚The Bitter Seed‘ ist ein astreiner Hochgeschwindigkeits-Thrasher, der jedem der Musiker Raum zum Ausdruck gibt. Drummer Hervé Coquerel knüppelt den perfekten Beat mit spritzigen Fills in seine Felle und Becken und Basser Alex Lenormand lässt seine dunkle Lockenpracht im Dauer-Windmühlenbetrieb im passenden Rhythmus laufen. ‚From Dried Bones‘, ebenfalls vom neuen Album, überrascht mit einem schaurig-dezenten Beginn und bleibt mit schick-meldodischen Leads im Midtempo-Bereich. Mit dem klassischen 90er-Thrasher ‚My Last Journey‘ von „Sublime Dementia“ (1993) endet der recht kurze, aber vor allem von einem exzellenten Sound geprägte Auftritt der Franzosen.
„In der Umbaupause ertönt aus der Clubanlage im Hinblick auf das Publikum eher unpassend, aber zur großen Freude des Autors dieses Artikels, Gitarren-Magier Gary Moore und sorgt für gute Laune bis Abysmal Dawn aus L.A. die Bühne entern und mit ‚Perfecting Slavery‘ von ihrem vierten Album „Obsolecence“ Vollgas geben. Die Songs sind technisch briallant geschrieben und präsentiert, das Problem, ganz im Gegensatz zu Loudblast: Der Sound-Mix überzeugt nicht. Das Schlagzeug ist viel zu präsent, auch wenn es eine wahre Freude für Augen und Ohren ist, Trommler Scott Fuller bei seiner Arbeit zuzusehen. Gleichzeitig kommt der Gesang von Frontmann Charles Elliott bei weitem nicht so mächtig rüber wie auf dem Album, was schade ist, denn dort zuckert der Bandleader seine Songs mit astreinen, mächtigen Growls. Das Publikum honoriert den Auftritt dann auch höchstens mit höflichem Applaus – ausflippen geht anders. Das wird auch deutlich, als Elliott mitten im Set die Zuschauer zu einem Geburtstagsständchen für seinen Schlagzeuger animieren möchte – der Gesang aus der Menge bleibt mehr als bescheiden. Das kann man von den Songs der vier Jungs nicht behaupten, selbst wenn die Technik an diesem Abend nicht auf ihrer Seite spielt. Das düstere ‚My Own Savior‘ zeigt auch die Variablität bzw. Wandlung der Band mit dem hier langsamen Titel, aber hervorragend stimmungsintensiven Drums und Gitarren. Nach dem siebten Song ‚In Service Of Time‘ endet das Set der Technical-Deather mit einem besonderen Feeling für Melodik, ebenfalls nur nach einer halben Stunde. Schließlich sollte noch genügend Zeit für die Helden des Abends bleiben.
„Die potentiellen Helden des Abends überraschen zunächst mit dem Duft von Räucherstäbchen und einem Steve DiGiorgio, der mit Hippie-Stirnband, Schlaghose und Sandalen – aber immerhin mit Death-Longsleeve auf die Bühne geschlurft kommt. Den ersten Eindruck bestärkt der Basser jedoch in keinster Weise. Mit seinen je nach Song drei-, vier- oder sechssaitigen, handgefertigen und bundlos-gehörnten Thor-Mjölnir-Bässen beweist der Mann, warum er zu recht zu den besten Metal-Bassisten gehört. Mit seiner beeindruckend schnellen Dreifinger-Technik rumpelt der Mann am linken Bühnenrand herum, daß es die wahre Freude ist. Nach ‚The Philosopher‘ und ‚Leprosy/Left To Die‘ begrüßt DiGiorgio Zürich dankbar. Man spürt dem Mann mit den ewig langen Haaren und Ziegenbart ab, daß er tatsächlich dankbar ist, Chuck Schuldiner gekannt zu haben und es ihm eine Ehre ist, seine Songs zu spielen. Er erinnert an das 20. Jahr der Veröffentlichung von „Symbolic“, beteuert jedoch, daß die Band auch viele weitere Songs spielen wird. Natürlich stehen die anderen Musiker DiGiorgio in nichts nach – auch Gene Hoglan kennen viele Metalheads neben seiner Teilnahme an zwei Death-Alben von bekannten Thrash-Bands wie Dark Angel und Testament sowie Strapping Young Lad. Kein Zweifel – auch der Mann versteht sein Handwerk und trommelt einer Band mit dem Namen „Tod“ mehr als würdig. Das Publikum gibt deutlich zu verstehen, daß sie nicht wegen Loudblast oder Abysmal Dawn gekommen sind, sondern wegen dieser Kultband um den tragischen Helden Schuldiner.
„Am Mikrofon macht Max Phelps einen wunderbar authentischen Job, bei ‚Spiritual Healing‘ aus der mittleren Schaffensphase von Death beispielsweikse kommt der Gesang doch dem von Schuldiner erkennbar nahe. Höher als das, was man heute als Growls versteht, spürt man vor allem beim Gesang noch den Thrash-Einfluss der 90er Jahre – und das war schließlich eines der Markenzeichen von Death. Ansonsten ist natürlich weithin bekannt, daß Death auch einen prägenden Einfluss auf das hatten, was man heute als Progressive Death Metal bezeichnet. So wie beispielsweise dem teils jazzig-progressiven ‚Flattening Of Emotions‘, das aber ebenso mit den messerscharfen Riffs und den anspruchsvollen Soli bestach, die Koelble und Phelps gnadenlos auf die Bretter der Alten Kaserne nageln. Die Fans zeigen ihren wachsenden Enthusiasmus mit extatischem Headbanging, vor allem in den vorderen Reihe. Einen Platz direkt am Bühnenrand zu ergattern ist im vergleichsweise kleinen Club in der Schweizer Metropole ein leichtes. Für die letzten drei Songs der regulären Sets stellt DiGiorgio Steffen Kummerer von Obscura als Special Guest vor. Für ‚Symbolic‘, ‚Zero Tolerance‘ und ‚Bite The Pain‘ ist der Deutsche mit der Gitarre im Anschlag Frontmann der Band und setzt mit seiner Stimme, die der der späteren Werke von Schuldiner ähnelt, eigene Akzente. Immer wieder kehrt die Band wie angekündigt zu den rhythmisch komplexen Songs von „Symbolic“ zurück, die an diesem Abend fast komplett gespielt werden. Death war nie eingängig, sondern im besten Sinne das, was man als „progressiv“ bezeichnet. So wie ‚Zero Tolerance‘ mit seinen ungewöhnlichen Taktarten, Tempowechseln – gepaart mit traumhaften, aber kurzen Solos und den gnadenlos quälend schrillen Riffs. Es ist Gänsehaut-Feeling angesagt an der Bühne in Zürich, keine Frage.
„Mit dem bombastischen ‚Bite The Pain‘ endet der offizielle Teil des Abends bereits viel zu früh, aber unter großem, zufriedenen Jubel aus 200 hellauf begeisterten Kehlen. Die Zugaben lassen nicht lange auf sich warten und gehen ganz zurück zum Debütalbum: Mit ‚Zombie Ritual‘ und ‚Baptized In Blood‘ ist die stilistische Verfeinerung und Weiterentwicklung von Death im Rückblick überdeutlich zu hören. Nicht jedoch bei den mit roher Energie und Geschwindigkeit vorgetragenen Songs, sondern vor allem in ihrer geringeren Komplexität, die aber bereits den Funken des Kommenden in sich trug. ‚Crystal Mountain‘ ist einer dieser geschliffenen und polierten Hochkaräter, bei denen man sich mit demütigem Schauer fragt, wie genau es Songs wie dieser es schaffen, ein ähnliches Schmetterlingsgefühl im Bauch zu erzeugen, wie wenn man verliebt ist. Roher, heftiger, natürlich. Und doch ähneln sich die Empfindungen sehr. Es muß wohl mit den ausgeschütteten Hormonen zusammenhängen oder etwas in der Art. Und auch wenn dieses Hochgefühl natürlich ewig so weitergehen könnte, muß jedes Wohlgefühl irgendwann zu Ende gehen. Death To All tun das stilsicher und absolut passend mit dem sinnbildlichen Ziehen des Steckers mit ‚Pull The Plug‘ vom unlängst wiederveröffentlichten „Leprosy“. Der Applaus ist ohrenbetäubend am Ende des Abends, als DiGiorgio, Hoglan, Koelble und Phelps Arm in Arm auf der Bühne stehen und sich dankbar verbeugen und ihren wohlverdienten Applaus genießen. Es mag für manch einen wie ein Sakrileg klingen: Chuck Schuldiner lebt.
Setliste Death To All (Zürich, Alte Kaserne, 6.März 2015)
The Philosopher
Leprosy / Left to Die
Suicide Machine
Overactive Imagination
Trapped in a Corner
1,000 Eyes
Without Judgement
Spiritual Healing / Within the Mind
Flattening of Emotions
Symbolic
Zero Tolerance
Bite the Pain
Zugabe:
Zombie Ritual / Baptized in Blood
Crystal Mountain
Pull the Plug
Alle Fotos mit freundlicher Unterstützung von Carin Vinzens von Bodypics.ch.