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Dead Air

Wenn es etwas gibt, dass die Meinungen spalten kann und wird, dann ist es mit Sicherheit „Dead Air“, das neue Album von Katatonia.

Wie viele andere Bands haben Katatonia die coronabedingte Freizeit, was Konzerte und Tourneen angeht, genutzt, um einen Livestream anzubieten. Dafür durften die Fans 17 Songs auswählen, die die Band spielen sollte, hinzu kamen drei Songs des damals brandneuen Albums „City Burials“, die bei dem Streamevent ihre Premiere feierten. Leider scheinen die Katatonia-Fans sich nicht an die grandiosen Anfänge der Musikkarriere ihrer Lieblinge zu erinnern, denn weiter als 2001 gehen die gewählten Songs nicht zurück. Dennoch liest sich die Tracklist im Großen und Ganzen wie ein Best Of. „Omerta“, „Ghost Of The Sun“, „Evidence“, „Teargas“, „My Twin“, „Old Heart Falls“ und so weiter, dazu mit „Behind The Blood“ das Highlight von „City Burials“ Sollte man einen Song als repräsentativ für dieses Album nehmen, dann wäre das wohl „Soil’s Song“, der Track, der vermutlich am Besten umgesetzt ist.

Der Stream wurde nun als Live-Album veröffentlicht – und am wichtigsten ist: Wer Live-Alben hasst, wird hier auf seine Kosten kommen.

Live-Alben mit ihren nervtötenden, ewig langen und sinnentleerten Gitarrengejaule, zum anspruchsvollen Konsum unpassenden Drumsoli, fehlenden Textzeilen weil das Publikum kaum mitsingt, obwohl doch dazu animiert wurde…. ewig langen Pausen voller Geklatsche zwischen den Tracks, größtenteils saudämliche Ansagen und einem meist erbärmlichen Sound, der dann gern als „authentisch“ oder „energetisch“ bezeichnet wird – Livealben sind üblicherweise für die Tonne.

Andererseits ist der Name „Dead Air“ perfekt gewählt – die Luft, in die diese Musik losgelassen wird, ist tot. Studio. Keine Menschen, kein Schweiß, kein Biergestank. Tot. Manche Livealben schaffen es, trotz des immensen Mangels, den Livealben nun einmal auszeichnet, wenigstens das Gefühl einzufangen, das Liveauftritte verströmen und auslösen. Dieses ist bei „Dead Air“ logischerweise nicht vorhanden. Das „zwiespältig“ zu nennen ist vermutlich noch Understatement.

Dieser Zwitter aus Best Of und Livealbum schreibt vermutlich Geschichte als erstes seiner Art, und dafür ist die Qualität herausragend. Alle Elemente in der Musik, die ein Liveerlebnis ausmachen sind vorhanden, man hört, dass da live gespielt wird. Ältere und auch neuere Stücke werden durch den recht derben, aber äußerst klaren Mix von ihrer Seichtigkeit befreit. Ja, es gibt hier und da kleine Soundfehler, Wackler im Gesang und auch im Spiel, Dinge, die man bei einem normalen Live-Album gut zudecken kann, die hier aber zugunsten der durch den Mangel an lärmendem Publikum eben fehlenden Authentizität belassen wurden. Das macht den Sound organisch, direkt und außergewöhnlich – ein Album dieser Art gab es halt noch nie.

Selbst die so seltsam wirkenden „Yes..!“ oder „Thank You“ – Kommentare zum Ende mancher Tracks helfen der obskuren, aber faszinierenden Atmosphäre dieses Albums. Mögen der Stream und die DVD im Gegensatz zu dem, was beispielsweise die Kollegen von Behemoth so während des Lockdowns aus dem Boden gestampft haben, höchst unscheinbar sein – die Audiospur von „Dead Air“ ist ein spannendes Dokument.

„Dead Air“ ist ein Stück musikalische Zeitgeschichte, das in keiner Sammlung fehlen darf – und mit dessen Kauf man seine Lieblinge in Zeiten wie diesen sinnvoll unterstützen kann. Bewertbar ist das kaum, da eine Note immer auch ein Referenzwert ist, der sich auf die Bewertung anderer Alben bezieht, und da es so etwas noch nie gab stellt sich das schwierig dar. Dennoch: sehr gut.

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