…And Justice For All (2018 Remaster)
Als vor einigen Jahren die Metallica-Remaster-Kampagne angekündigt wurde, kreiste die Diskussion in Fankreisen relativ schnell hauptsächlich um ein Thema: wie würde die Band „…And Justice For All“ angehen, an dessen Produktion sich schon bei Veröffentlichung die Gemüter schieden und die auch später von James Hetfield und Kirk Hammett in Interviews bisweilen stark kritisiert wurde?
Die Kritik ist bis heute relativ einfach nachzuvollziehen. Mit dem furztrockenen, extrem durchsichtigen Sound, den lauten, höhenlastigen Drums und dem schlicht und einfach nicht hörbaren Bass klingt „…And Justice For All“ wie kein anderes Metallica-Album, und erst recht nicht wie sein soundtechnisch ziemlich fetter Vorgänger „Master Of Puppets“. Man könnte sogar argumentieren, dass bis 1988 kein Metal-Album sich an einer ähnlichen Sound-Ästhetik versucht hatte. Wenige Monate später sah das anders aus, beginnend mit Overkills „The Years Of Decay“ und Flotsam & Jetsams „When The Storm Comes Down“ begannen viele Thrasher, genau diesen trockenen Sound zu übernehmen, selbst die Glamrocker Pantera beispielsweise richteten sich nach einem Stilwechsel mit ihrem 1990er Album „Cowboys From Hell“ ganz und gar nach dem „Justice“-Modell. Was diese Bands freilich nicht übernahmen, war die Unsitte, den Bassisten gen Limbo zu mischen. Ähem.
Abgesehen davon, das ein wenig Jason Newsted der ganzen Sache sicher gut getan hätte, passte die klinisch saubere, effektfreie Produktion aber fraglos zum Songmaterial. Die auf „Master Of Puppets“ begonnene Tendenz zu überlangen Songs mit komplexen Arrangements wurde nämlich auf „Justice“ so richtig auf die Spitze getrieben – kein Wunder, das Mike Portnoy bis heute Lobeshymnen auf das Album singt. Nur zwei Songs unterschreiten die Sechs-Minuten-Grenze, dafür erreichen zwei fast die Zehn-Minuten-Marke. Jeder Song enthält eine Menge an bisweilen tierisch frickeliger Riffs, dazu gibt es Rhythmuswechsel, ungerade Takte, Breaks und Tonartwechsel im 30-Sekunden-Takt. Auch die Gesangslinien zeigten sich weit weniger eingängig als auf den beiden Vorgängern, und generell herrschte ein reichlich düsterer Ton vor. Auch wenn das Album aufgrund der Riffs und der Spielweise immer noch klar im Thrash Metal zu verordnen war, gaben Metallica diesmal nur selten Vollgas, lediglich der Rausschmeißer ‚Dyers Eve‘ schloss an pure Double-Bass-Granaten wie ‚Damage Inc.‘, ‚Whiplash‘ oder ‚Fight Fire With Fire‘ an. Auf’s erste Hören blieben bei den meisten Fans wohl hauptsächlich die drei im Vergleich straightesten Songs hängen: der melodische Opener ‚Blackened‘, das schleppende ‚Harvester Of Sorrow‘ und das ruhig-morbide ‚One‘ – den Rest musste man sich erarbeiten.
Wie aber so oft entpuppten sich auf Dauer genau die etwas sperrigen Nummern als angehende Fanfavoriten. ‚The Frayed Ends Of Sanity‘ und ‚The Shortest Straw‘ beispielsweise lösen durch die reine Nennung der Songtitel bei langjährigen Metallica-Fans bereits sehnsuchtsvolles Ächzen und Stöhnen aus, und ‚To Live Is To Die‘ gilt Vielen als bestes Metallica-Instrumental. Freilich war aber dank der progressiven Ausrichtung des Albums relativ schnell die Fahnenstange erreicht: ‚The Shortest Straw‘, ‚The Frayed Ends Of Sanity‘, ‚Dyer’s Eve‘, und ‚To Live Is To Die‘ wurden auf der „Blind Justice“-Tour gar nicht erst gespielt, da die Band laut eigener Aussage keine Zeit hatte, sie vernünftig einzustudieren. Letztere drei Songs wurden gar erst in den 2000ern erstmals live gespielt – ‚To Live Is To Die‘ bislang gerade ein einziges Mal. Das Dilemma führte dazu, das die Band sich ganz bewusst entschied, auf ihrem nächsten Album kürzere Songs mit einfacheren Strukturen zu schreiben, womit schließlich ein komplett neues Kapitel der Bandgeschichte begann.
Nun, es hatten ja Viele darauf spekuliert, dass für die Wiederveröffentlichung von „…And Justice For All“ endlich der Bass etwas nach vorne gemischt werden würde – das gibt’s hier aber nicht. Das Album wurde „nur“ remastert und bleibt somit grundsätzlich historisch korrekt. Die Mitten wurden zwar ein wenig geboostet, und die im Original oft klirrenden Höhen ein wenig abgemildert, aber wer mit dem Album aufgrund der Produktion auf Kriegsfuss steht, wird auch mit dem Remaster nicht glücklich. In einem Zeitalter, wo es immer mehr in Mode kommt, alles nochmal neu abzumischen und jedes fünfzig oder sechzig Jahre alte Album auf 2018er Zeitgeschmack zu trimmen, applaudiere ich Metallica aber jetzt einfach mal dafür, sich dem nicht anzubiedern und zu ihren ursprünglichen kreativen Entscheidungen weiterhin zu stehen – egal, was die Band im Nachhinein davon halten mag.