Alles Ohne Strom
Mit „Alles Ohne Strom“ (JKP/Warner) präsentieren Die Toten Hosen ihr bandgewordenes Soloprojekt. Während sich andere Künstler zumeist abseits der angestammten musikalischen Pfade kreativ austoben, haben sich die Toten Hosen gemeinsam auf diesen Weg begeben. Am Wegesrand haben sie allerlei Mitmusiker eingesammelt, um ihrer Blaupause einer Big Band zu entsprechen – stets mit dem Ziel, dabei noch immer tourfähig zu bleiben. Denn auf die Bühne soll das Ganze im nächsten Jahr auch kommen. So wurden von den lieb gewonnenen Klassikern bis hin zu den vier neuen Stücken des Albums alles umarrangiert. Dabei geht es weniger um eine Neuauflage ihres Unplugged-Projektes („Nur Zu Besuch: Unplugged Im Wiener Burgtheater“) aus 2005, auch wenn der Titel zu dieser Annahme verleiten mag. Vielmehr gibt es soundgewaltige Unterstützung durch Bläser, Streicher, Percussion und Klavier, was im weitesten Sinne nach Big Band klingt. Da reibt man sich mitunter ungläubig mit beiden Händen die Augen wie anders so manche Stücke klingen können, und der Moment des Erkennens dauert um einiges länger als sonst.
Gleich der Opener „Entschuldigung, Es Tut Uns Leid“ kommt in einer an die Comedian Harmonists angelehnten Fassung daher, die erst tiefes Schmunzeln und dann ordentliches Mitwippen beim Zuhören auslöst. „Urknall“ bekommt durch die skalastige Version einen ganz neuen Drive und wirkt wuchtiger als in der ursprünglichen Form. „Das Ist Der Moment“ als offbeatbetonte Reggae-Nummer lässt jeden noch so ausgeprägten Bewegungslegastheniker ausufernd durch die Wohnung tanzen. Der erste neue Song, „Kamikaze“, beginnt ganz sanft, wird nur von der akustischen Gitarre begleitet, und die Stimmung des Textes von den Streichern untermalt. „Ohne Dich“, ein Rammstein-Cover, ist zuerst nur puristisch mit Klavier und Gesang instrumentiert, bis sich das Lied steigert, die anderen Instrumente mit einsteigen und Campino mit brachialer Gewalt alle Energie in das Finale hineinwirft. In „Schwere (-los)“ geht es um eine Holocaust-Überlebende. Ein atmosphärisch ganz dichtes Stück, das zwar keine Zeigefinger schwingt oder einfach nur anklagt, aber dennoch nicht bedrückender sein könnte. Mit der Variante von „Hier Kommt Alex“, die irgendwo zwischen ZZ Top und schnauzbärtigen Mariachi-Klängen liegt, gibt es nochmal eine völlig ungewohnte Seite zu hören.
Die Toten Hosen haben mit „Alles Ohne Strom“ einen Betriebsausflug auf eine neue musikalische Spielwiese unternommen. Es mag sein, dass sie hierzu nicht jeden mitnehmen werden, ein mit verschränkten Armen gemotztes „Das klingt aber nicht wie sonst!“ lässt sich nicht abstreiten. Wer aber an der Wucht der Bläser, den groovigen Skaklängen und einem enormen Rhythmus, der in sämtliche Gliedmaßen fährt und zum Tanzen animiert, Spaß hat, für den wird die Platte nicht zu toppen sein.
Für alle, die nicht genug bekommen können: Am 22.11.19 wird „Alles Ohne Strom“ als DVD/Blu-ray mit 31 Liedern und 141 Minuten Spielzeit sowie einem Making Of veröffentlicht. Zeitgleich erscheint ein auf 15.000 Stück limitiertes Earbook mit 152 Seiten Fotos, das neben dem CD-Album auch die DVD und die Blu-ray enthält.