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Zirkus Zeitgeist

Da sind sie wieder, die Mittelalter-Rocker, die fahrenden Spielleute: Zurückblickend auf nunmehr 15 Jahre Bandgeschichte veröffentlichen Saltatio Mortis ihr zehntes Studioalbum. Der Titel „Zirkus Zeitgeist“ ist dabei Programm, setzt die Band doch ihre bisherige musikalische Entwicklung fort und äußert sich wieder kritisch und auch sehr direkt zu aktuellen Themen. Nach den letzten beiden Alben „Sturm Aufs Paradies“ und dem „Schwarzen 1×1“ bewegen sich Saltatio Mortis erneut ein Stück weit weg vom typischen „Mittelalter-Sound“ und hin zum stadiontauglichen Rock mit durchsickernden Punk-Attitüden, auch wenn der Dudelsack immer noch prominent im druckvoll-dynamischen Mix vorhanden ist.

Fröhliche Zirkusatmosphäre empfängt den Hörer mit Kinderlachen und Akkordeonmelodie, bis die rockigen Gitarren einsetzen und einen Reigen stadiontauglicher Rockhymnen einleiten. Damit erinnert dieser Zirkus weniger an ein mittelalterliches Gauklerfest, sondern die Manege gleicht vielmehr einer kochenden Deutschrock-Arena, in der sich auch Die Toten Hosen wohl fühlen würden. Und so zelebrieren Saltatio Mortis ein musikalisch äußerst eingängiges und auf Anhieb mitreißendes Album voller griffiger Hooklines und Refrains, die sich schon beim ersten Mal im Gehörgang festsetzen. ‚Wir sind soweit / wir sind bereit / wer will noch weiter mit uns zieh’n? / auf diesem Weg der erst entsteht wenn wir gemeinsam geh’n‘ heißt passend es in ‚Geradeaus‘, dem Titel, in dem die Band ihre Geschichte Revue passieren lässt und sich auch damit auseinander setzt, dass sich der Stil ihrer Musik nun einmal geändert hat.

Und das ist gut so, denn die eingängigen Melodien bilden das Gerüst für überwiegend wichtige und sehr direkte Texte, die uns allen wieder einmal vor Augen halten, wie (schlecht) es um uns steht: ‚Jeden Tag die gleichen Bilder – Mord, Krieg, Hunger und Gewalt‘. Ja, ‚Wo sind die Clowns?‘, denn ‚Wir können alles, außer leben / denn unbeschwert, das sind wir nie‘, wie die Spielleute in ‚Wir sind Papst‘ feststellen. Ein bisschen mehr Gelassenheit im deutschen Spießbürgertum, dafür weniger Kaufrausch und Weihnachtswahnsinn (‚Weihnachtszeit‘), das wünschen sich die Spielleute in ihren Liedern, während des Nachts die Soldaten weinen. Im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen gibt es natürlich auch die leider immer noch notwendige Abrechnung mit dem rechts-braunen Pack: ‚Die Augen zu / die Lider fest geschlossen / weiter so mit dummdreist-festem Schritt‘. Dass hierbei in Text und Melodie auf das Horst-Wessel-Lied Bezug genommen wird, ist nicht nur mutig, sondern hält allen „besorgten Bürgern“ in diesem Zirkus den passenden Spiegel vor.

Saltatio Mortis bringen mit dem „Zirkus Zeitgeist“ eine packende Vorführung in die Manege. Die Clowns präsentieren Wortwitz, und der Dompteur bändigt mit peitschenden Drums die Rockgitarren. Das Mittelalter ist vorüber – willkommen in der Gegenwart. Wer sich damit abfinden kann, den erwartet ein eingängiges Album zum Nachdenken aber auch Mitrocken, mit dem die Spielmänner definitiv einen neuen Bandklassiker geschaffen haben. „Zirkus Zeitgeist“ erscheint auch als limitierte Sonderedition mit einer zusätzlichen CD, auf der langjährige Weggefährten wie Subway To Sally, Schandmaul oder Betontod Klassiker von Saltatio Mortis neu interpretieren. Manege frei!

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