Zeitreise

Lacrimosa dürften wohl jedem Fan alternativer Musik mit Gitarren etwas sagen, zumindest in Deutschland. Tilo Wolff und seine Mitstreiter haben im Endeffekt das Gothic-Genre erfunden. Tiefe Stimme, Klavier, Kerzenscheinstimmung und maximal mögliche Melancholie – wenn man Stücke wie das sehr frühe „Satura“ hört, dann ist klar warum das so ist.

Niemand anderes hat damals vor 30 Jahren diese Form einer mit Kitsch gesättigten, rein auf Gefühl abzielenden, dunklen Musik zelebriert. Natürlich, es gab Dark Wave und es gab auch schon düsteren Rock – Sisters Of Mercy, The Cure und so weiter. Den vollen Fokus auf theatralische Inszenierung zu legen und den Sound so mit Melancholie überfrachten, dass es beim Zuhören tatsächlich in kürzester Zeit zu einem Sog kommt, der einen hinunterzieht – das gab es nicht. Über die Jahre hat die Band dann immer mehr Gitarren in ihren Sound integriert und die Melancholie stellenweise zugunsten von rockigeren Klängen verringert. Dennoch dominiert die nun einmal mit einem gesegnet düsteren Timbre ausgestattete Stimme von Tilo Wolff auch Stücke wie „Feuer“, selbst seine krächzende, stellenweise gar an Black Metal erinnernde Zweitstimme verleugnet die Melancholie nicht. Die frontale Trostlosigkeit der absoluten Anfangstage wurde durch eine gewisse Vielschichtigkeit ersetzt.

Wie die meisten Bands hat auch Lacrimosa den Weg der Weisheit eingeschlagen und aus den rohen Klötzen der Anfangstage sind wunderschön gearbeitete Epen geworden. Die Retrospektive „Zeitreise“ zeigt dies, wenn auch nicht in chronologischer Reihenfolge. Die ganz große Theatralik mit den Stücken jenseits der 10-Minuten-Grenze fehlen, um insgesamt mehr Stücken Raum zu geben. 25 Songs haben es schließlich auf die „Zeitreise“ geschafft, von „Satura“ über Kultklassiker wie „Alles Lüge“ und „Copycat“ bis hin zu einem exklusiven Song („Drei Sekunden“) und einem Stück („Im Schatten der Sonne“ des in Zukunft folgenden neuen Albums. „Lass die Nacht nicht über mich fallen“ wurde in einer gänzlich anderen Version aufgenommen.

Insgesamt sind diese 25 Songs ein perfekter Querschnitt, der das Schaffen von Lacrimosa hervorragend zusammenfasst.

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