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Und aus den Wolken tropft die Zeit

Tocotronic trifft auf Element of Crime. In Berlin. Mit viel Herzschmerz, Lebensfreude und melancholischer Selbstironie – und natürlich anderer Besetzung: Das Großstadt-Quartett ‚Isolation Berlin‚ hat in beachtlicher Eigenproduktion ihr Debüt produziert, ja man könnte sagen mit junger, Berliner Lässigkeit dem Publikum um die Ohren gehauen. ‚Und aus den Wolken tropft die Zeit‘ ist freche, unverbrauchte, unkonventionelle, nicht auf Perfektionismus getrimmte Gitarrenmusik mit Orgelbegleitung, die sich zwischen den Genres Funk, Rock ’n‘ Roll und Chanson nicht entscheiden möchte.

Dazu passen die aus dem Leben gegriffenen Texte sehr gut und müssen daher auch keine poetischen Wunder darstellen. Der Opener ‚Produkt‘ ist allerdings eine geniale (Selbst-)Kritik auf die Musikindustrie, auf den kaufgeilen Kapitalismus allgemein. Und zwar prägnant auf den Punkt gebracht aus der Perspektive der personifizierten Platte selbst:

‚Ich bin ein Produkt, ich will, dass man mich schluckt… ich will, dass ihr mich liebt und auch die ganze Welt. Ich lebe für Applaus bis der Vorhang fällt.‘

Die restlichen Songs schwanken zwischen Nostalgie (‚Aufstehn, Losfahrn‘), depressiver Großstadthassliebe (‚Fahr weg‘), expressiver Liebesbekenntnisse (‚Ich küss dich‘), betrunkener Melancholie (‚Schlachtensee‘) und geplatzten Träumen (‚Du hast mich nie geliebt‘). Sänger Tobias Bamborschke singt dabei nicht nur, sondern lallt, zischt, schreit, tobt, und wimmert, wo es passt. Die Musik von ‚Isolation Berlin‚ ist der Sound Berliner Kneipen: Gemütlich, seicht dahinfließend und im anderen Moment aufbrausend und lebendig, voller Humor. Das ist nicht Musik für jedermann, aber auch keine, die irgendwo aneckt. Glücklicherweise bespielen die Berliner Jungs nicht nur Bars, sondern sehr fleißig über 40 Bühnen allein von Februar bis September. Langweilig wird dem Zuhörer dabei wohl nicht.

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