|

The Ghosts Of Pripyat

Es ist ein Zeichen seiner Beliebtheit bei den Fans, dass Steve Rothery, der sein neues Album über Kickstarter via Crowdfunding finanziert hat, mal eben locker das Vierfache der veranschlagten Summe in die Kasse gespült bekommen hat. Knapp 60.000 Britische Pfund kamen zusammen. Der Gitarrist und Gründungsmitglied der britischen Neo-Progger Marillion hat das Geld verwendet, um „The Ghosts Of Pripyat“ aufzunehmen, ein rein instrumentales Gitarrenalbum im Stile seines Vorbildes Dave Gilmour. Inspiriert durch die nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl verlassene Stadt in der Ukraine, hat Rothery ein spannendes teils melancholisches Album erschaffen, das (natürlich) insbesondere durch sein hervorragendes typisches Gitarrenspiel überzeugen kann. War das Werk bislang nur als Download erhältlich, veröffentlicht InsideOutMusic das Album nun endlich auch als physische CD.

Fans, welche die letzten Veröffentlichungen des Musikers genau verfolgt haben, dürften viele der Songs jedoch schon kennen. Ein Teil des Materials wurde bereits auf dem letzen Livealbum „Steve Rothery Band Live In Rome“ veröffentlicht. Danach hat sich der Gitarrist mit seiner Band jedoch noch einmal ins Studio zurück gezogen und präsentiert auf dem neuen Album überarbeitete Versionen der Stücke sowie natürlich auch neues Material. Mehr zur spannenden Entstehungsgeschichte des Albums könnt Ihr in unserem Interview mit Steve Rothery lesen, das wir mit dem Musiker geführt haben. Dort verriet der Musiker auch, dass jeder einzelne Song einen kleinen Soundtrack eines imaginären Films darstellen soll. Mit der Unterstützung der beiden musikalischen Gäste Steve Hackett (ex Genesis) und Steven Wilson (Porcupine Tree) hat Rothery ein faszinierendes Album geschaffen, das von seinen Stimmungen lebt und es schafft, den Hörer unmittelbar auf eine traumgleiche Reise mit zu nehmen. Wunderbare Gitarrenduelle zwischen Rothery und Hackett im Eröffnungstrack ‚Morpheus‘ oder auch im epischen und über 13 Minuten langem ‚The Old Man Of The Sea‘ laden zum Entspannen ein. Immer wieder fühlt man sich an Marillion erinnert, aber es wäre ein Fehler, „The Ghosts Of Pripyat“ nur auf diese musikalischen Wurzeln zu reduzieren, bietet es doch wesentlich mehr.

Stimmungsvoller Artrock, nicht zu verschachtelter Progressive Rock, treibende, singende, melancholische Gitarren. Pink Floyd meets Marillion, Genesis und Porcupine Tree. Steve Rothery hat ein vielschichtiges spannendes Album geschaffen, das keine gesungenen Worte benötigt, um sich direkt in Herz und Hirn des Hörers zu spielen. ‚The Old Man Of The Sea‘ ist für mich das Highlight des ganzen Albums. Gastmusiker Steven Wilson drückt dem Track mit seinem wunderbaren Gitarrensolo einen sehr persönlichen Stempel auf. Sphärische Soundcollagen, Effekte wie dezent eingesträute Walgesänge erschaffen eine traumgleiche Stimmung und lassen, wie von Rothery im Konzept ja auch gewollt, eine Vielzahl verschiedener Eindrücke und Bilder vor dem inneren Auge entstehen. Hier ist er, der perfekte Soundtrack für den ganz persönlichen imaginären Film. Immer wieder erinnert Rotherys Spiel an sein großes Vorbild David Gilmour. Insgesamt muss das Album der Vergleich mit Pink Floyd keineswegs scheuen.

Der Titeltrack beginnt schließlich mit einem ausgedehnten Part auf zwei akustischen Gitarren. Im weiteren Verlauf wandelt sich der ruhige und sehr intime Beginn dann in einen immer lauter werdenden Rocksong, wenn das Thema der einleitenden Gitarre von den anderen Musikern der Steve Rothery Band aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Insbesondere die Verwendung der Hammond-Orgel lässt den Song, der im weiteren Verlauf die Gefilde des Hard-Rocks streift und ein wenig an Led Zeppelin erinnert.

„The Ghosts Of Pripyat“ beweist, wie mitreißend Musik auch ohne Worte sein kann. Rein intrumental entführt das Werk den Hörer in andere Sphären und läd zum Schließen der Augen und Relaxen ein. Dabei wirkt es durchgängig aus einem Guss und weniger fragmenthaft als beispielsweise die aktuelle instrumentale Veröffentlichung von Pink Floyd. „The Ghosts of Pripyat“ ist damit vielleicht sogar der bessere endlose Fluss.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar