Rare
Wenn mein kleiner Bruder als ausgemachter Metalcore-Fan mir plötzlich eine seiner favorisierten Bands empfiehlt, dann muss ganz schön was passiert sein. Nicht zwingend mit mir – ich stehe diesem Genre nach wie vor mit einigem Unverständnis gegenüber -, sondern mit der Kapelle. Will sagen, dass Hundredth auf den gerade so angesagten Shoegaze-Zug aufspringen und ein ungewöhnlich softes Album vorlegen. Das könnte man als opportunistisch abkanzeln. Aber wenn’s gut gemacht ist…
Eingefleischte Fans werden ‚Rare‘ weniger pragmatisch nehmen als Wikipedia. Da wurde der Eintrag unter ‚Genre(s)‘ im Handumdrehen ergänzt: ‚Melodic-Hardcore (bis 2017) / Shoegaze, Indie-Rock (ab 2017)‘. Ob die Richtungsänderung tatsächlich eine endgültige oder der kreative Schub ein vorübergehender ist, bleibt freilich abzuwarten. Auch wenn Sänger Chadwick Johnson die Albumveröffentlichung mit Statements begleitete, nach denen sich Hundredth nach der 2015er Platte ‚Free‘ in Sachen Hardcore ausgeblutet fühlten und mit dem Genre abgeschlossen haben.
Aber in der Populärmusik lassen sich Brücken nicht einfach so einreißen. Und wer genau hinhört, vermag Referenzen aus dem früheren Leben der Hundredth auszumachen. Der Gesang hat unterschwellig etwas Metallisches. Einen kleinen Screamo-Ausbruch konnte sich Johnson in ‚Down‘ doch nicht verkneifen und die melodischen Spielereien von ‚Slyn Vein‘ mögen alte Fans vielleicht versöhnlich stimmen.
Anders als ausgemachte Dream-Pop-Klassiker gibt die Band aus South Carolina immer noch viel Gas – mit einem sehr geradlinigem 4/4-Takt à la Indie-Rock, einigem Tempo und der wuchtigen Präsenz des Schlagzeugs. Aber das Sphärische, mit der sich die Stimme im Äther verteilt und nur mit langem Nachhall entschwindet, sowie die dicken Wände, die die Gitarren um den Hörer hochziehen – das kommt der neu gewählten Ausrichtung schon sehr nahe. Allein, es fehlt das introvertiert Verträumte und die nötige Portion Verzweiflung, um aus ‚Rare‘ ein tatsächliches Shoegaze-Album zu machen. Aber Hundredth haben ja gerad erst neu angefangen und es braucht eben ein Weilchen, um festen Schrittes auf neuen Pfaden zu gehen.