KETTCAR – Gute Laune ungerecht verteilt

Wir fangen heute mal mit dem Fazit an:                                    

Mein Gott, ist diese Platte anstrengend! Warum?

Direkt die ersten drei Songs fordern einen ultimativ heraus, ob „Auch für mich 6. Stunde“ („Mittelmeer, Massengrab, so traurig hier, zynisch da, First-Defense-Konferenzen, Zäune bau’n, hoch die Grenzen“), dem Nicht-Integrationslied „München“ („Wir beide im Kiosk und die Frau hinterm Tresen sagte: „Ich meine nicht dich! Hier wird nicht geklaut! Kannst deinem Freund übersetzen: Ich hab ihn im Blick!“) oder die (stellvertretende) Hymne an die Pflegekräfte und Paketzusteller „Doug und Florence“ („All die Tür’n steh’n dir offen, sie sind nur alle sehr weit weg, das kannst du gern ganz anders hoffen, es hat nur keinen Zweck“) – bei jeder Zeile muss mitgedacht werden, und das löst in der Folge mitunter stille Wut und Zorn aus, auch wenn Kernaussagen wie Freundschaft und Hoffnung am Ende stehen. Wiebusch rappt seine Texte phasenweise mehr, als das er sie singt. Die Musik ist weit mehr als nur Hintergrundgeplänkel, sie pointiert die Worte immer wieder, und selbst eine leicht schräge Flöten-Kakophonie am Ende von „Bringt mich zu eurem Führer“ passt wie die Faust aufs Auge und ergänzt die Aussage.

Es sind die detaillierten Beobachtungen, die Kettcar hier in feine Worte packen. Selbst auf den ersten Blick schlichte Alltagsgeschichten, wenn der Familienvater vom kinderfreien Wochenende („Erst mal Sex und dann mal sehn“ in/auf „Rügen“) singt, bekommen einen bitteren Beigeschmack, wenn die kritische Bewertung des Eltern-Daseins anfängt, zwischen Freude und Spaß zu unterscheiden. Durchaus wahre Worte, die man sich aber erst einmal trauen muss.

Oder das Anstehen an der Supermarktkasse („Die Kundin vor mir an der Kasse, fängt plötzlich lauthals zu schreien an: Früher ist man für das Geld mit zwei Tüten hier raus“ beim „Einkaufen in Zeiten des kalten Krieges“) hat vermutlich jede*r schon einmal so oder so ähnlich erlebt, wahrscheinlich ohne sich Gedanken darüber zu machen, und doch wird man die nächsten Besuche bei Edeka nun nicht mehr ohne den Blick in den Einkaufswagen der anderen Kund*innen hinter sich bringen, um zu schauen, ob dort auch „Rotkäppchen Sekt und Salzstangen“ zu finden sind.

Nein, einfach im Hintergrund laufen lassen kann man diese CD nicht. Keine der Nummern wird in einer Party-Playlist landen und laut mitgegrölt. „Gute Laune, ungerecht verteilt“ braucht weit mehr als die 45 Minuten Spielzeit, die am Ende von einem Dutzend Tracks auf der Uhr stehen. Vielleicht muss man sie sich auch in kleinen Etappen gönnen, um alle Inhalte zu verarbeiten, und die nicht immer auf den ersten Blick offensichtlichen Feinheiten, Zitate und versteckten Botschaften zwischen den Zeilen zu verstehen, und danach sollte man sich vielleicht eine Pause gönnen.

Aber: Selten gibt es Anstrengungen, die sich so sehr lohnen, wie dieses Kettcar-Werk!

NOTE: 1-

 

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