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Kesä

Ähnlich wie beim alten Laster mit der Luftpolsterfolie verhält es sich auch manchmal mit dem Austauschen von Vokalen: Man muss einfach. Auch wenn Kesä eigentlich richtig geknöpft und die finnische Vokabel für „Sommer“ ist. Obwohl die Prog-Punker aus dem Fjordland kaum ein Jahr auf dem Puckel haben, tischen sie schon jetzt ihr Debüt auf. Das heißt ebenso wie die Band und ist die Erfüllung eines schon länger gehegten Traums: Eine Hommage an die Kinder der 70er und 80er und deren erste musikalische Liebschaften. Die, die sich auf dem Weg zur ersten Bandgründung Sterne und Fledermäuse ins Gesicht malten, Stoff ans Handgelenk knoteten und „Paul Stanley„, „Gene Simmons“ und „Ace Frehley“ mit Filzstift auf den nackten Oberarm pinselten, um dann im Chor in einen Rasierapparat zu singen. Nicht meine Ideen – steht alles auf dem Cover.

Nun sind Kesä aber keine Glammer, sondern alte Hasen der finnischen Punk- und Hardcoreszene. Zu ihren Referenzen zählen Lighthouse Project, ILLS, and Total Recall – um nur ein paar aufzuzählen. Falls die wer kennt. Ihre Mechanismen sind entsprechend althergebracht, entwickeln aber eine synergetische Sprengkraft: wavige bis post-punkige Synths für die Nostalgie, Toni Salminens harmoniebefreiter Gesang für die Anarchie, fette Drums bereit fürs Stadion. Und wer angesichts dessen nicht schon baff sein kann, wird spätestens über die Texte stolpern. Die sind nämlich finnisch. Und Finnisch ist grammatisch wie phonetisch noch immer die sonderbarste Zunge unseres Kontinents.

Entsprechend schwer scharfzustellen ist dieses halbe Stunde Rockmusik im Hinblick auf ihren emotionalen Charakter. Ob Zorn oder Euphorie, ob Freude oder Enttäuschung, ob Entschlossenheit oder Zerknirschtheit regieren, lässt sich an kaum einer Stelle trennschaft auszumachen, wenn man des Finnischen nicht mächtig ist. Derart verschlüsselt nimmt der Mitteleuropäer ‚Kesä‚ womöglich als eine einzige Lautmalerei wahr. Zum Schaden wird dies dem Album nicht gereichen. Immerhin soll es ja Hörer geben, die sich allein ihrer Lieblingsband wegen zu Fremdsprachenkursen durchringen. Und dass auch die Musik selbst von sprachlicher Vielfalt profitiert, ist wohl unbestritten. Umso mehr macht Kesäs würziges, zwischen handfest und sagenhaft vermittelndes Setup die Band zum aussichtsreichen Kandidaten auch für den internationalen Markt.

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