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First Kiss

Robert James Ritchie, besser bekannt als Kid Rock, schwelgt offenbar sehr gerne in Erinnerungen an früher. Schon in seinem Lynyrd Skynyrd / Warren Zevon Crossover-Song ‚All Summer Long‘, dem großen Hit von vor sieben Jahren, erinnerte sich der Musiker an seine Jugend im US-Bundesstaat Michigan. Und jetzt setzt er mit seinem neuen Album „First Kiss“ und dem rockigen Titeltrack genau dort wieder an: Erster Kuss, erste Liebe, erstes Auto. ‚Oh how I wish I could go back in time / Just to love you again‘. Musikalisch erinnert sich der Gute vor allen Dingen an sein Album „Born Free“, setzt „First Kiss“ doch ganz eindeutig wieder den Schwerpunkt auf groovigen Southern-Rock mit Cowboy- und Redneck-Attitüde. Hatte er nicht einmal angekündigt, jedes seiner Alben würde musikalisch ganz anders werden? Wer also etwas wirklich Neues erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Nun, wie auch immer, wir wollen uns ja gar nicht beschweren, denn Kid Rock präsentiert hier genau das, was er am besten kann: Songwriting auf hohem Niveau gepaart mit eingängigen Rock-Nummern für den kommenden Sommer, für heruntergekurbelte Autoscheiben und laue Abende beim Feierabendbier auf der Veranda.

Der Mann hat seine Karriere immerhin einmal als Hip Hopper begonnen, hatte Rap-Einlagen auf seinen Alben und immer wieder einen ganz besonderen Stilmix geboten. Selbst später, als er sich immer mehr dem Southern Rock und Country-Elementen zuwandte, überraschte er noch mit zurückhaltenden Rap- oder Hip-Hop-Momenten in seinen Songs. Diese Zeiten sind spätestens mit „First Kiss“ wohl endgültig vorbei. Hip Hop oder Rap sucht man auf dem Album vergebens, einzig ein paar dezente programmierte elektronische Drumbeats erinnern hin und wieder noch an alte Zeiten. Ansonsten sind die zehn Tracks reinrassige Southern-Rock-Nummern mi den typischen Texten: Es geht um sentimentale Jugenderinnerungen, Bier, Wein und Whiskey, Spaß und Musik, Rednecks, Hank Williams und Jesus.

Kid Rock wird immer wieder kontrovers diskutiert wegen seiner teils extrem konservativen politischen Einstellung. 2012 unterstützte der Musiker im Präsidentschaftswahlkampf in den USA die konservativen Republikaner und trat auf dem Nominierungsparteitag auf. Aber glücklicherweise versucht er mit seinen Songs nicht, seine politischen Ansichten unter den Fans zu verbreiten. ‚I like some good times, cheap wine, back beat rock’n’roll‘, heißt es im zweiten Song des Albums. Das glauben wir ihm gerne. Und ändern werden wir Mr. Ritchie und seine Ansichten ohnehin nicht: ‚You can try to change me or love me just the way I am‘.

Und wie sieht es nun mit der Qualität des neuen Materials auf „First Kiss“ aus? Der Titelsong ist ja schon länger bekannt und überzeugt mit seinen eingängigen stadiontauglichen Riffs, schließt sich nahtlos an die früheren Hits wie ‚All Summer Long‘ oder ‚Born Free‘ an. Von der Struktur und vom Feeling her werden auch ein paar Erinnerungen an den Bryan Adams Klassiker ‚Summer of 69‘ wach. Ja, ja, die guten alten Zeiten…

Der Rest des Albums schlägt in die selbe Kerbe, ohne immer ganz die gleiche Qualität des Songwritings zu erreichen. ‚Johnny Cash‘ ist ein moderner Countrysong mit treibendem Rhythmus, der sich auch auf der angekündigten Livetour gut abgefeiert werden wird. Auch in ‚Good Time Lookin‘ For Me‘ gibt es wieder viel Country von der Fiddle bis hin zum Honkey-Tonk-Piano. Im Bonus-Track ‚FOAD‘ darf Kid Rock dann noch ein paar Mal das böse amerikanische F-Wort benutzen, damit das verkaufsfördernde „Parental Advisory“ auf dem Cover auch seine Berechtigung hat.

In ‚Drinking Beer With Dad‘ schwelgt der Musiker noch einmal in Erinnerungen. Mit der eröffnenden Textzeile ‚it’s the simple things in life‘ zitiert Kid Rock nicht nur textlich zudem wieder einmal ‚All Summer Long‘. Vielfache Selbst-Zitate sind vielleicht auch die einzige wirkliche Schwäche des gesamten Albums. Songwriting auf hohem Niveau, überwiegend Ohrwürmer und mitreißende Musik, all das ist auf „First Kiss“ in hohem Maß vorhanden. Kid Rock hat sich vom Rapper zum Cowboy gewandelt. Kein Crossover mehr, kein Hip Hop. Gab es im Vorgängeralbum „Rebel Soul“ hin und wieder noch musikalische Anleihen an alte Zeiten und Crossover-Elemente, so ist Robert James Ritchie jetzt ganz im neuen Genre angekommen. Wer reinrassigen Country-Southern-Rock mag, kommt hier voll und ganz auf seine Kosten. wer aber die älteren Kid Rock Alben dann doch bevorzugt, sollte erst einmal Probehören. In diesem Sinne: Ich verschwinde jetzt mal mit meinem Cowboyhut auf die Veranda und warte auf den Sommer.

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