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Die Biellmann-Piourette

Der Frühling steht vor der Tür, die ersten Vögel zwitschern und auch die kauzigen Drei aus Kiel pfeifen wieder. Wie schön. Diesmal entführen uns Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen in die glitzernde Welt des Eiskunstlaufens und stellen vor: die ‚Biellmann-Piourette‘. Laut Wikipedia ist selbige ‚eine Variante der Standpirouette, die große Flexibilität erfordert‘. Das ist passend gewählt, ist es doch eben diese Flexibilität, die die Herren Musiker gern an den Tag legen und damit auch bei ihrer Hörerschaft voraussetzen.

Das wissen wir spätestens seit ‚Postsexuell‘. Das offizielle Debütalbum kam bei Fans und Presse gut an. Wenig überraschend, haben Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen doch mit ihrer eigensinnigen Kombination der altgedienten, fast abgewetzten Genres Punk, Indie und Wave einen Sound geschaffen, der bombig in die heutige Zeit passt. Selbstredend aber auch, dass sich die Herren Gäde/Stuhlmacher/Frahm von der Euphorie kaum anstecken lassen. Vielmehr pflegen sie ihre Schrulligkeit, die nun endlich ein zweites Album gebiert.

Auch wenn dieses, so viel sei vorweggenommen, zugänglicher ist als das Debüt – von Anbiederung weiterhin keine Spur. Vielmehr ertönt gleich eingangs das Bekenntnis:

‚Ich leb von Luft und Hass.‘

Der macht natürlich auch vor dem Hörer nicht Halt und so leitet der Opener ‚Das sind auch so Existenzen‘ ein mit einer Minute nervend-monotonem Elektrobeat. Wer aber immer noch und jetzt erst recht auf der Suche ist nach unkonventionellen Songs, der hält das freilich aus.

Der Kombo aber nur Abweisung und Negativhaltungen anzuhängen, wäre viel zu kurz gegriffen. Abgesehen von durchgehend bissigen Texten warten Songs wie ’60 Watt Sonne‘ oder ‚Einsamer Mulero‘ mit schwungvollen Melodien, ja Indiedisko-Qualitäten auf. Es sind eben solche Stücke, die dieses zweite Album von seinem Vorgänger emanzipieren. Hier wurde sorgfältiger produziert und bedenkenloser arrangiert, hat man sich mehr Eingängigkeit erlaubt. Das ist schon schade, war es doch gerade diese gewisse Schroffheit, die ‚Postsexuell‘ so interessant machte. Von den möglichen Wegen, die sich die Band mit ihrem Debüt eröffnet hat, hat man mit ‚Die Biellmann-Piourette‘ den der zunehmenden Professionalität eingeschlagen.

Vorhersehbar ist hier trotzdem nichts. Man hütet sich beständig, eventuelle Erwartungen von außen zu erfüllen. Der Charakter der Band war schließlich schon beim Debüt ausgeprägt genug. Weiterhin ist der Synthesizer liebstes Spielzeug, lässt man sich soundtechnisch in ‚Akkorde Ermorden‘ oder ‚Ich geh den Berg hoch‘ genüsslich aus und positioniert sich mit klaren Worten und Gewitztheit abseits des Masse. ‚Ein X für ein U‘ ist unbequem und ähnlich wie das ruhige ‚Notizen aus der Provinz‘ ein textlicher Höhepunkt.

Anhand dieses Gemischs lässt sich trefflich und nächtelang philosophieren, wer sich hier nun wem annähert – die Band dem Mainstream oder umgekehrt. Wie auch immer, es passiert auf Seiten von Keine Zähne im Maul aber La Paloma pfeifen mit voller Dynamik und hoch inspirierend. Und wenn das Fazit lautet:

‚Ich bin eine Win-Win-Situation und ich hab Spaß‘

, dann lässt sich mit Vorfreude das nächste Album erwarten.

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