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Commencing Countdown

Die ganze Retro-Rock-Schiene hat zumindest einen unglaublich erfreulichen Nebeneffekt: seit dem Erfolg von Blues Pills und Co. gibt es nämlich wieder eine gesunde Reihe an Sängerinnen, die sich nicht dem Trällerelfen-, Opernwalküren- und dem Pseudo-Mariah-Popsternchen-Geflöte verschrieben haben, sondern einfach wie ganz normale Menschen singen und beweisen, daß Frauen nicht nur biologisch gesehen die im Rock’n’Roll oft geforderten Eier haben. Dementsprechend ist auch bei der Berliner Formation Sängerin Alia „Spaceface“ der erste Bonuspunkt. Die Dame verfügt nämlich über ein richtig feines Rotzorgan, das an die junge Jutta Weinhold oder, noch deutlicher, an die The Rattles-Urgewalt Edna Berejano erinnert und aus der Konkurrenz absolut herausragt. Dazu ist sie auch noch für die Hälfte der originellen, oft zweistimmigen Gitarrenarbeit verantwortlich, weshalb man ruhig konstatieren darf, daß die Dame hier vollkommen zurecht der Star ist.

Musikalisch halten sich Travelin Jack weitestgehend vom Blues- und erst recht von Stoner- und Doom-Gerödel fern und orientieren sich eher an urdeutsch-krautigem Siebziger-Hardrock. In ‚Time‘ wird beispielsweise auch textlich gleich mal zum Scorpions-Regenbogen geflogen, und Struktur und Melodieführung des Songs erinnern ein wenig an ‚We’ll Burn The Sky‘. Neben den ‚The Witch‘-Ära Rattles lugen auch Lucifer’s Friend, die erste Accept und natürlich Frumpy permanent um die Ecke und freuen sich über ihre Nachfolger – wenn auch bei Travelin Jack die Hammond-Orgel komplett gestrichen wurde und stattdessen auf doppelte Gitarrenpower gesetzt wird. Die Produktion ist sehr, nun ja, neuzeitig ausgefallen, eben so, wie man sich eben heute einen authentischen Siebziger-Rocksound vorstellt – was nur vordergründig ein Widerspruch ist. Dennoch, Schmackes hat das Ganze, speziell, wenn es gelegentlich in leicht psychedelische Gefilde geht, kommt dabei durchaus Laune auf. Auf Dauer darf sich die Band aber vielleicht noch ein wenig mehr um Abwechslung bemühen. Denn durch das – grundsätzlich stimmige und konsequente! – Fehlen eingängiger Refrains und der ähnlichen Struktur und Stimmung vieler Songs beginnen die Songparts spätestens beim dritten Durchlauf im Hörer-Hirn ein wenig durcheinanderzukommen. Das ist allerdings Feintuning und kommt mit Sicherheit noch.

Störend wirken sich auf „Commencing Countdown“ eigentlich nur zwei Dinge in Kombination miteinander aus. Da wäre einerseits das etwas arg plakativ und völlig aufgesetzt wirkende Image der Band, das – ähnlich wie Steel Panther für die Achtziger – jedes Klischee bedient und ein wenig, nun ja, albern rüberkommt. Besonders eben, weil vom vollmundig angekündigten Glamrock-Einfluss schlicht gar nichts zu hören ist. Da soll offensichtlich auf den Schweden-Zug aufgesprungen werden – diesen Etikettenschwindel hat die wirklich hörenswerte und talentierte Band aber eigentlich überhaupt nicht nötig. Also, Jungs, weniger Sorgen um ein trendiges Image machen, mehr Vertrauen in die Kraft der Musik, dann wirkt das Ganze nochmal so sympathisch.

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