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Chasing The Sun

Es sollte niemanden wundern, dass Freedom Call-Frontmann Chris Bay sich auf seinem Solodebüt vornehmlich dem Versprühen positiver Gefühle verschreibt. Schließlich sind ja Freedom Call schon nicht unbedingt als Verbreiter dystopischer Horror-News bekannt. „Klingt wie Bon Jovi!“ verkündete eine Freundin, aber dem muss man vehement widersprechen: im Vergleich zu Chris Bays erstem Alleingang sind selbst die letzten Alben von Jon-Boy und seinen Erfüllungsgehilfen von Bukowski-Schmutz erfüllte Rotzrock-Epen.

An den Freedom Call-Hörer richtet sich das Album dann auch nicht unbedingt, Hardrock oder gar Power Metal gibt es hier nicht zu hören. Warum sollte Chris auch das Gleiche machen wie die Stammband? So gibt’s hier höchst eingängige Popmusik mit ein paar mild rockigen Einsprengseln: ein wenig Britpop, ein wenig Achtziger-Poprock, cleane Gitarren und die Vocals weit im akustischen Vordergrund. In den besten Momenten gelingen Chris dabei echt feine Ohrwürmer, die auch im heutigen Radioprogramm nicht negativ auffallen würden. Das mit einem Sechziger-Jahre-mäßigen „Swingin‘ London“-Groove ausgestattete ‚Hollywood Dancer‘ zum Beispiel versprüht ein ähnlich modernisiertes Oldschool-Feeling wie Bruno Mars und kann absolut überzeugen. Auch das wie eine noch poppigere Version von H.E.A.T. erinnernde ‚Silent Cry‘ (das klingt ausnahmsweise wirklich nach neueren Bon Jovi) geht gut ins Ohr, das etwas getragenere ‚Where Waters Flow In Heaven‘ und die etwas rockigeren ‚Misty Rain‘ und ‚Bad Boyz‘ (im Härtegrad softerer Def Leppard) können ebenso punkten. Bei einigen Stücken hingegen schießt „Chasing The Sun“ allerdings dann doch über die Kitschgrenze hinaus und landet – sorry, Chris! – eher im Schlagerhaften. Das wird noch verstärkt durch Chris‘ bekannten, absolut charakteristischen und eigentlich auch geschätzten Hang zu stimmlicher Lieblichkeit und Pathos – ja, so wie im Opener ‚Flying Hearts‘ oder in der Voransingle ‚Radio Starlight‘ könnte es klingen, wenn Wolle Petry den inneren Rocker entdeckt – und im folkigen ‚Light My Fire‘ und der schwülstigen Ballade ‚Love Will Never Die‘ ist man ganz klar im Terrain der Kelly Family gelandet.

Ohne Frage ist „Chasing The Sun“ trotzdem ein objektiv betrachtet gut produziertes, durchaus sympathisches und hörbar mit viel Herzblut eingespieltes Album geworden – das aber für Rockfans eher schwer verdaulich ist. Falls sich noch jemand an die letzte, 2006 veröffentlichte Soloscheibe von Michael Kiske erinnert: da war das ganz ähnlich – auch wenn Chris Bay natürlich weit beschwingter und weniger balladesk zu Werke geht. Melodielinien, die im Power Metal dank des Kontrastes zur (mehr oder minder) heavy ausgefallenen Instrumentierung ihren Reiz haben, klingen im Poprock-Kontext eben gerne ein wenig schwülstig – weshalb Metallern, die sich am Genrewechsel versuchen, gerne mal zuviel Zucker und Plüsch durchrutschen. Somit sollte man auch als eingefleischter Freedom Call-Maniac „Chasing The Sun“ unbedingt vor dem Kauf antesten.

So gibt es eine Gerade-Noch-Drei für ein Album, das für einen Verriss objektiv gesehen viel zu „gut“ und auch mit hörbar Herz gemacht ist, aber statt des „hach, schön!“-Feelings einfach zu oft bei klebrig-schmalzig landet. Vielleicht gelingt Chris ja aber auch das Unwahrscheinliche und „Chasing The Sun“ erschließt ihm einen komplett neuen Hörerkreis?

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