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Beyond The Red Mirror

Vom Speed-Metal über ausufernde Fantasy-Epen bis hin zum aktuellen Power- / Bombast-Metal, so kann man wohl am besten die musikalische Entwicklung einer der größten und bekanntesten deutschen Metal-Bands beschreiben: Die Rede ist natürlich von Blind Guardian, dem Krefelder Urgestein um Frontman Hansi Kürsch, das sich nach fast fünf Jahren endlich mit einem neuen Studioalbum zurückmeldet.

„Beyond The Red Mirror“ soll nach Aussage der Band direkt an das zeitlose Meisterwerk „Imaginations From The Other Side“ anknüpfen. Also schnell noch mal das 95er Album in den Player und den eingängigen Melodien solcher Hammersongs wie ‚Past And Future Secret‘ oder ‚The Script For My Requiem‘ gelauscht, immer in der frohen Erwartung, dass es gleich auf „Beyond The Red Mirror“ nahtlos so weitergeht. Und der rote Spiegel fängt auch schon mal gut an. Das Intro begrüßt den Hörer gleich mit epischen Chören und dramatischer Orchestermusik – die Spannung steigt. Dann bricht er los, der Sturm aus brachialen Gitarren, großen Chören, überraschend modernen Drums und Hansi Kürschs unverkennbarer Stimme. ‚The Ninth Wave‘ ist viel mehr als nur ein Intro, sondern entwickelt sich schnell zur knapp zehnminütigen epische-breiten Power-Metal Hymne, die jedem Fan der Band (aber auch den meisten anderen!) ein breites Grinsen auf die Lippen zaubern wird. Das folgende ‚Twilight Of The Gods‘ ist durch die Vorab-Veröffentlichung natürlich schon bekannt und schließt tatsächlich nahtlos an die früheren melodiösen Kracher an mit einem choralen Refrain, der sich sofort im Gehörgang fest setzt. Mehrstimmige Chöre, eingängige Melodien, epische Themen – genau das, wofür Blind Guardian immer noch so beliebt sind.

Nach zwei grandiosen Songs ist das neue Blind Guardian Album dann jedoch auch schon wieder vorbei. Zumindest für alle, die erwartet haben, dass es genau in diesem Stil weitergeht. Denn jetzt schwenkt „Beyond The Red Mirror“ vom melodiösen und relativ leicht durchschaubaren Power-Metal zum Progressive Metal um und legt noch mal eine gehörige Portion zu in Sachen Breite, Bombast, Epik, aber eben auch Verschachtelung und Progressivität. Das ist kein straighter Stadion-Metal mehr, das ist komplexe vielstimmige Musik, wie sie schon auf dem Vorgängeralbum zu finden war, aber noch ein gutes Stück weiter auf die Spitze getrieben. Blind Guardian haben sich stetig weiter entwickelt, und allen, die jetzt eine Rückbesinnung auf die melodiösen Live-Hymnen wie ‚Valhalla‘ oder einen neuen ‚Bard’s Song‘ erwarten, werden mit „Beyond The Red Mirror“ spätestens ab jetzt vermutlich nicht wirklich glücklich werden. Das meiste Material der neuen Platte kann nicht mal eben auf dem nächsten Festival besoffen mitgegröhlt werden. Die Songs schreiten progressiv voran, verzichten auf klar erkennbare Strukturen wie Strophe oder Refrain. Dieser Trend war ja auch auf den letzten Alben schon erkennbar, wird hier aber in eine völlig neue Dimension geführt – und vor allen Dingen in einer nie dagewesenen epischen Breite ausgewalzt. Chöre, Orchester, noch mehr Chöre, noch mehr Orchester, Gitarren, Gesang, alles verschmilzt zu einem gewaltigen Epos, das kaum noch auf Wiederholungen setzt, sondern sich stetig weiter entwickelt – eben reinrassiger Progressive (Bombast) Metal.

Das Album ist keineswegs schlecht, ganz bestimmt nicht. Im Grunde ist es sogar wirklich grandios. Man muss den Hut ziehen vor der Arbeit, die hörbar in diese Produktion gesteckt wurde. Es muss nur jedem klar sein, was er hier erwirbt und dass es eben nicht Blind Guardian von 1995 sind, die hier aufspielen. Wer sich auf die Musik einlässt, ja vielleicht sogar schon immer heimlich auf Progressive Metal stand, der entdeckt ein großartiges Album für sich, das neben den beiden oben erwähnten Mitgröhl-Hymnen jede Menge spanndender Musik zu bieten hat. Die Krefelder haben eine packende Mischung gefunden aus knüppelnder Härte (wie z. B. in dem schnellen Song ‚The Holy Grail‘) und orchestralem Bombast der Spitzenklasse. Das immer wieder verwendete Orchester wirkt im Gegensatz zu vielen anderen Produktionen hier auch nicht wie ein Fremdkörper, sondern spielt gemeinsam mit der Band und ergänzt die Songs immer durch epische Phrasen. Das ist ganz einfach Fantasy-Bombast-Metal vom Feinstern ohne Wenn und Aber.

Das epische Finale ‚The Grand Parade‘ zieht noch einmal alle Register und gehört für den Rezensenten ohne Frage zu den besten Songs des blinden Wächters. Wie also dieses Album abschließend beurteilen? Nun, als Progressive Metal-Veröffentlichung funktioniert es bestens, und als solche soll es hier auch bewertet werden. Von einem kleinen Durchhänger bei der eher überflüssigen Piano-Ballade ‚Miracle Machine‘ einmal abgesehen, haben Blind Guardian ein wunderbares Album erschaffen, das eben nur ganz anders ist, als viele Fans vermutlich erwartet haben.

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