Am Rande von Berlin
Schreck, Bewunderung oder Ungläubigkeit. In schnellem Wechsel überkommen Einen diese Emotionen bei der Feststellung, dass für Razzia zum Ende dieses Jahres der 40. Bandgeburtstag ansteht. Dieses Jubiläum kann mit ausgiebig Musik (über eine Stunde Spielzeit) des neuen Albums ‚Am Rande von Berlin‘ gefeiert werden. Das eigentliche Geschenk, das die Band sich selbst und den Fans aber macht, ist das Wiederzusammenfinden der Besetzung Thiele/Endlich/Siegler/Siegler, die Razzia in den Achtziger Jahren mit ihren ersten zweieinhalb Alben so richtig in die Spur gebracht hat.
Kenner der Materie können sich sicher lange daran abarbeiten, welche der diversen Razzia-Formationen in den vier Jahrzehnten die beste war. Die Begeisterung, die die Erneuerung dieser frühen und vielleicht wichtigsten Konstellation nun hervorruft, dürfte vor allem nostalgische Gründen haben als an den virtuosen Leistungen von ‚Am Rande von Berlin‘ liegen. Trotz ihrer langen, wenn auch unsteten gemeinsamen Geschichte, sind aus den Herren bis heute keine Meistermusiker geworden.
Aber es geht ja bei Deutschpunk selten um Spieltalent. Wichtig ist, dass Razzia uns auch im Jahre 2019 etwas mitzuteilen haben, mit dem man tatsächlich etwas für sich und seine Wahrnehmung anfangen kann. Jeder, der ein bisschen die Augen auf- und zum allgemeinen Geschehen eine kritische Distanz hält, wird sich in den Texten den neuen Albums wiederfinden können. Für Phrasengedresche waren Razzia noch nie zu haben, und so liefern sie auch diesmal Denkanregungen und philosophisch-gefärbte Überlegungen ab. Das geht in Kopf und Herz und Songs wie ‚Wenn die Stadt erwacht‘ oder ‚Lauf, Junge, lauf‘ haben geradezu Gänsehautpotential.
Zudem sind die 14 Stücke musikalisch so verpackt, dass sich Refrains gut einprägen und man auf Konzerten bei Pogo und Singalongs seinen Spaß haben kann. Die ruhigeren Songs hat man an mancher Stelle um ein Violoncello ergänzt, wodurch sie einen ernsthaften Tonfall bekommen. Überhaupt wirken die Kompositionen des Albums in Text und Melodie angenehm geerdet, ohne aber an Dringlichkeit einzubüßen.
Somit ist ‚Am Rande von Berlin‘ quasi Punkrock für Erwachsene: wütend, aber abgeklärt. Die Band ist in die Jahre gekommen, ihr Publikum aber eben auch. Darum sprechen beide Seiten immer noch die gleiche Sprache. Und darum sind Razzia immer noch relevant.