|

Abalonia

Turbostaat – das ist Name, das ist Programm. Wenn die Band mit den Wurzeln im hohen Norden (und im Punkrock) ein neues Album ankündigt, sind die Erwartungshaltungen groß. Fast hatte man nun den Eindruck, dass eben jene gedrosselt werden sollten, als es im Vorfeld zu ‚Abalonia‘ von offizieller Stelle hieß, man dürfe nicht vergessen, dass Punk ’nicht Malen nach Zahlen‘ sei. Hier ginge es nicht nur um kopfloses Geknüppel, drei Akkorde und bemühte Phrasen. Sanft wurde so das Publikum darauf vorbereitet, dass sich die Band musikalisch weiterentwickelt hat. Gut so! Warum man sich aber genötigt sah, darauf so explizit und beschwichtigend hinzuweisen, ist gerade im Falle von Turbostaat ein Rätsel.

Denn für schlicht gestrickten Punkrock waren Turbostaat noch nie bekannt. Im Gegenteil, Iros sind in ihrem Publikum eher die Seltenheit. Und ein Progress im künstlerischen Schaffen konnte bereits auf mindestens den letzten beiden Alben beobachtet werden. Also dürfte gerade ein Fortschreiten und Ausprobieren neuer Wege zur Erwartungshaltung echter Fans dazugehören. Diesbezüglich enttäuscht ‚Abalonia‘, Langspieler Nummer sechs, kein bisschen.

Man könnte meinen, Turbostaat werden im Jahr 17 ihres Bestehens hörbar … ja was? Älter? Erwachsen? Oder beides? Zumindest geht die Band mit den meisten der zehn neuen Songs nicht derb nach vorn, sondern besonnen in sich. Musikalisch ist das Album sehr ausgereift. Den einzelnen Stücken wird Zeit gegeben – Zeit für ausgiebige Intros und Zeit, um dichte Atmosphäre aufzubauen. Stark sind die kurzen Noise-Momente (‚Ruperts Gruen‘, ‚Die Toten‘) und eindrückliche Sing-Alongs (‚Die Arschgesichter‘, ‚Abalonia‘), weniger stark und doch gekonnt eingepasst so manche gefällige Refrainmelodie (‚Eisenmann‘).

Die Band, das weiß jedes Kind, kann aber vor allem Texte. Alles Gesagte ist dringlich, nichts ist abgedroschen. Da sind auch ‚Die Arschgesichter‘ nicht einfach vulgär, sondern tiefsinnig. Hier bleiben Turbostaat immer Turbostaat, musikalische Metamorphose hin oder her. Das heimelige Gefühl entsteht eben dann, wenn Marten Ebsen mit seinen Worten für diverse Aha-Momente sorgt und den Hörer immer wieder in leichtes Staunen versetzt.

Sicher, der Hang zum Verkopften ist auch auf ‚Abalonia‘ evident.

‚Ist das Quatsch? Oder ist das euer Ernst? Ganz oben in der Mitte wohnt der Hass! Diese Stadt hat heimlich Durchfall und er sieht fast aus wie du‘

, heißt es in ‚Der Wels‘ zu Dresden und seiner Pegida. Oder in ‚Geistschwein‘:

’19 Stunden Bitternis und trocken wie der Mund / Und ein ganzes Jahr verging / Und Schweigen bleibt ein Grab nur fast so wie es Winter wird / Vereint sind wir komplett‘

. Manchmal wird aber auch fast lakonisch der Nagel auf den Kopf getroffen, mit Feststellungen wie

‚Reichtum ist der Schlüssel zum Erfolg‘

(‚Die Arschgesichter‘).

Was ‚Abalonia‘ aber diesbezüglich an Neuem zu bieten hat, ist das: Turbostaat können auch Storytelling. Mit ausgefeilten Geschichten bekommen die ausgiebigen Kompositionen ihre angemessene Ergänzung. ‚Wolter‘ zum Beispiel ist so traurig und melancholisch, dass es einem das Herz zusammenzieht.

Überhaupt das Herz. Auffallend oft wird es erwähnt auf dem neuen Album. Auch wenn es meist um Abschied und/oder Tod geht, ist es das Wort ‚Herz‘, was im Kopf bleibt. Und wohl hinter jedem Takt und jeder Textzeile steckt. Das hat mitnichten etwas mit Verweichlichung zu tun; Zeilen wie die aus ‚Die Toten‘ dürfen nicht missverstanden werden:

‚Wir sind zwar eure Wut, aber regen uns nicht mehr / Sprecht uns bitte nie mehr an, wir sind die Toten für euch.‘

Auch wenn Melodien und Arrangements mitunter eine gewisse Ruhe vortäuschen – es ist die vor dem Sturm. Der setzt rhythmisch allerspätestens mit ‚Abalonia‘, dem letzten Albumtrack, ein, hat sich vorher aber rhetorisch schon machtvoll aufgetürmt. Was Turbostaat mit ihrem neuen Werk wieder einmal schaffen, ist den Hörer vor sich her zu hetzen, in einem eher positiven Sinne. Das Album macht nervös – und damit wachsam. Öffnet Augen und Horizont. Wir wissen: Der Mensch braucht so etwas – nicht nur Wut rauslassen, sonder überhaupt Wut zulassen. Und sich dann doch selbst zu vergewissern:

‚Alles ist besser als der Tod!‘

(‚Ruperts Gruen‘)

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar