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King Crimson – Greatest-Hits-Tour nach 47 Jahren

Neben Langzeit-Bassist Tony Levin, Saxophonist/Flötist Mel Collins und Neu-Sänger/Gitarrist Jakko Jakszyk rekrutierte Fripp mit Gavin Harrison, Bill Rieflin und dem seit 1994 ununterbrochen bei Crimson aktiven Pat Mastelotto gleich drei Schlagzeuger. In dieser Besetzung veröffentlichten King Crimson bereits zwei Livealben, „Live at the Orpheum“ und „Live In Toronto“, die allerdings bei vielen langjährigen Anhängern nicht nur auf Begeisterung stießen. Besonders die von vielen als reines Gimmick empfundene Triple-Drum-Attacke, aber auch Jakszyks Gesang wurden teilweise recht hart kritisiert.

Dennoch waren die beiden – komplett bestuhlten – Konzerte der Band in der Liederhalle Stuttgart natürlich ausverkauft. Zunächst gab’s in der ganzen Halle verteilt und sogar auf der Bühne große Schilder zu begutachten, die darauf hinwiesen, daß absolutes Fotografier- und Aufnahmeverbot herrschte. Als Fan kannte man Fripps unbarmherzige Einstellung zum Thema bereits, manch anderer wunderte sich wohl doch einigermaßen.
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Allerdings hatte man nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn Crimson eröffneten direkt die Show mit dem Drum-Trio-Song ‚Hell Hounds Of Krim‘ und den schweren Riffs von ‚Larks Tongues In Aspic Part 1‘. Als Ersatz für den verhinderten Rieflin steht übrigens auf der aktuellen Tour Jeremy Stacey von Noel Gallaghers High Flying Birds auf der Bühne. Bei dem darauffolgenden ersten Track mit Gesang, ‚Pictures Of A City‘, fiel sofort auf, wie sehr sich Jakko Jakszyk gesanglich seit den beiden Livealben gesteigert hat. Überschwängliche Emotionen sind zwar immer noch nicht seins, aber zumindest an diesem Abend präsentierte er sich absolut souverän. Man sollte allerdings auch nicht verschweigen, daß durch die etwas ungeschickte Songauswahl in der ersten Hälfte (vornehmlich schleppende Stücke mit jazzigen Soli, siehe Setlist am Ende des Berichts) durchaus ein wenig Abwechslung fehlte.

Das neue, zweigeteilte Stück ‚Radical Action/Meltdown‘ kam da sehr willkommen und erinnerte mit den Interlocking Guitars, der eingängigen Melodieführung und dem eher neuzeitlichen Klangbild sehr an die Belew-Ära. Mit dem nachfolgenden ‚Easy Money‘ verdiente sich Jakszyk für seinen kraftvollen Gesang sogar einen waschechten Szenenapplaus. Pat Mastelotto übernahm bei diesem Song auch die prägenden, im Original von Jamie Muir eingespielten, Geräusch-Percussions, so daß ‚Easy Money‘ als erster Höhepunkt des Abends durchging.

Mit ‚Epitaph‘ folgte danach die wundervolle Weltuntergangsballade vom 1969er Debütalbum „In The Court Of The Crimson King“ – aber leider hatte man hier – wie auch einige andere Male an diesem Abend – ein wenig das Gefühl, die Drummer stünden sich bei diesem Stück eher gegenseitig im Weg als sich zu ergänzen. Das Majestätische und die Fülle der Originalversion wurden diesmal leider nicht erreicht. Gleiches galt auch für das nachfolgende, eigentlich unkaputtbar geglaubte ‚Red‘, das leider (aber erwartungsgemäß) im von der „Live In Toronto“-Scheibe bekannten Arrangement gespielt wurde. Was im Original eine brutale, Sabbath-mäßige Urgewalt entfaltete, klang hier eher nach Egobefriedigung dreier Weltklassedrummer, die wenig Sympathie für den Rest der Kombo oder gar den Song zeigte. Zu allem Überfluss solierte hier auch Mel Collins ziemlich unpassend, so daß ‚Red‘ leider von seiner ursprünglichen Wirkung nicht viel übrigbehielt. Nach einer zwanzigminütigen Pause ging’s dann schließlich in die zweite Hälfte der Show – und man hatte sofort das Gefühl, das erste Set sei nur das Warmspielen gewesen. Hier gab’s denn auch ein paar mehr Stücke aus der jüngeren Vergangenheit, zum Beispiel ‚The ConstruKction Of Light Part 1‘, und das großartige ‚Level Five‘. Schwere Tool-Riffs, von Mastelotto handgespielte Drum’n’Bass-Rhythmen und Fripps durchdringende, bisweilen atonale Leadgitarre zeigten, daß King Crimson auch in diesem Jahrtausend noch Großartiges abzuliefern in der Lage sind. Nach einem weiteren Klassiker, ‚The Court Of The Crimson King‘, folgte mit ‚Suitable Grounds For The Blues‘ ein weiterer, sehr eingängiger und kraftvoller neuer Song und ein überzeugender Beweis, daß das kreative Pulver der Band keineswegs verschossen ist.

Vom 1995er Album „THRAK“ gab’s danach das großartige ‚VROOOM‘ – und leider vermisste man hierbei zum einzigen Male an diesem Abend dann doch die langjährigen Mitglieder Adrian Belew und Trey Gunn. Die treibende, harte Gitarren-/Stick-Arbeit der beiden wurde diesmal von Collins‘ Saxophon übernommen, und als Konsequenz hatte der Song statt von einem „remorseless forward movement“ (Fripp) eher was von „Tuff, tuff, macht die Eisenbahn“.

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Starless‘, der Schwanensong der 1974er Besetzung, fungierte als Finale des zweiten Sets, und hier stimmte dann endlich alles. Eine der großartigsten Kompositionen des Progressive Rock, inspiriert und beseelt dargeboten von einem perfekt in Einklang befindlichen Ensemble. Fripps unfassbar schöne Leadgitarre trieb schon im Intro so manchem Besucher die Tränen in die Augen, und hier machten auch die drei Drummer definitiv Sinn, indem sie sich zu Beginn abwechselten (Jeremy Stacey spielte in der ersten Hälfte, wie auch bei einigen anderen Songs, die Keyboards) und zum Ende schließlich alles zum ekstatischen Höhepunkt trieben. Dafür gab’s dann auch verdient stehende Ovationen und minutenlangen Jubel.

Die Zugabe bestand aus einem großartigen Cover von Bowies ‚Heroes‘ (die berühmte Gitarrenlinie des Songs stammt schließlich von Fripp), das sogar zum Mitsingen einlud – inklusive eines Gitarrenzitates aus ‚Teenage Wildlife‘. Das konnte man natürlich nur auf eine Weise toppen: mit dem supertighten und schön heavy ausgefallenen ’21st Century Schizoid Man‘ gab’s dann zum Abschluß nochmal alles, was man von KC so hören will. Derbe Heavy-Riffs, jazzige 16tel-Synchronläufe, die großartige Fripp-Gitarre, kongeniales, schön kraftvolles Gehupe von Mel Collins und sogar ein – nicht zu langes und sehr unterhaltsames – Gavin Harrison-Drumsolo. Alleine die letzten drei Songs waren bereits das Eintrittsgeld wert und werden vielen Fans noch lange in Erinnerung bleiben.

Bei aller Begeisterung darf man aber nicht verschweigen, daß es auch nach wie vor einige Kritikpunkte an der aktuellen Crimson-Besetzung und der Show gibt. Allen voran natürlich die drei Drummer, die in den besten Momenten (z.B. bei den beiden neuen Songs) kongenial miteinander verzahnt agierten, sich aber viel zu oft gegenseitig behinderten oder gar den Rest der Band niederknüppelten. Aber auch Mel Collins passte sich mit seinem sehr Jazz-orientierten Spiel immer noch nicht in alle Songs ein und wirkt gerade bei den härteren Songs oftmals wie ein Fremdkörper. Das ist aber fraglos Kritik auf hohem Niveau und mit Sicherheit auch ein wenig persönliche Geschmacksfrage.

Der (sprechende?) Elefant im Zimmer ist freilich ein anderer. Denn trotz hohen Unterhaltungswertes kann man sich als Langzeitfan des Gefühls nicht erwehren, daß King Crimson sich als Backkatalog-Verwahrer ein wenig unter Wert verkaufen. Schließlich war der Reiz vorhergehender Inkarnationen eben auch immer der stetige Blick in die Zukunft, das Unbekannte und Unerwartete, das Herausfordernde. Es bleibt zu hoffen, daß Fripp davon bald die Nase voll hat und sich doch entschließt, King Crimson wieder als vollwertige kreative Macht zu etablieren.

Setliste (Stuttgart, Liederhalle, 08.09.2016)

Set 1:
Hell Hounds of Krim
Larks‘ Tongues in Aspic, Part One
Pictures of a City
Cirkus
Fracture
The Letters
Radical Action (To Unseat the Hold of Monkey Mind)
Meltdown
Easy Money
Epitaph
Red

Set 2:
Devil Dogs of Tessellation Row
Lizard (‚The Battle of Glass Tears – Dawn Song‘ )
Radical Action II
Level Five
The Court of the Crimson King
The ConstruKction of Light
Suitable Grounds for the Blues
VROOOM
Starless

Zugaben:
Banshee Legs Bell Hassle
„Heroes“(David Bowie Cover)
21st Century Schizoid Man

Text: Sascha Glück
Fotos: Fabian Schreyer, King Crimson, Daniel Frick
Videos: Youtube, Copyright King Crimson

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