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Endless Forms Most Beautiful

Wenn Nightwish ein neues Album veröffentlichen ist es mittlerweile so, als wenn Porsche einen neuen Sportwagen auf den Markt bringt. Es ist immer noch gefühlt ein klassischer 911er, aber mit einigen neuen Spielereien an Bord, leicht veränderte Karosserie (neue Sängerin, haha), die Fans freuen sich ein Loch ins Knie und die Marketingabteilung springt im Dreieck. Doch fährt sich das Album mit dem sperrigen Titel „Endless Forms Most Beautiful“ die ein Brett auf der Rennstrecke oder gibt es eine Fehlzündung?

Um beim beispielhaften Bild zu bleiben: Nightwish polarisieren ebenso wie der Stuttgarter Autobauer: Für die einen ist es das absolute Nonplusultra und der wahr gewordene Traum, für die anderen ein sinnloser Umweltfrevel. Die aktuelle Veröffentlichung der Finnen basiert auf dem Charles Darwins-Zitat „There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been originally breathed into a few forms or into one; and that, whilst this planet has gone cycling on according to the fixed law of gravity, from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have been, and are being, evolved“ aus „The origin of species“. Da jubeln auch die Schöpfungstheoretiker.

Neu am Boliden sind Drummer Kai Hahto, der den Langzeitschlagwerker Jukka Nevalainen vertritt, mit Floor Jansen ist die Anette Olzon-Nachfolgerin nun auf dem ersten regulären Album zu hören und muss naturgemäß gegen massive Klangwände und wunderschöne Melodiebögen bestehen, dazu ist jetzt Flötist Troy Donockley fest in der Band. Optisch also ordentlich modifiziert, auf der Straße und im Ohr gibt es den erwartungsgemäßen Nightwish-Bombast und Epik in Perfektion, Floor Jansen passt mit ihrer Stimme, die zwischen Tarja Turunen und Anette Olzon einzupegeln ist (nicht zu opernhaft, aber nicht so rockig wie die Vorgängerin aus Schweden) einwandfrei zu den aktuellen Klangwelten, die mittlerweile deutlich bekannt vorkommen statt wie zu „Once“-Zeiten für offene Münder zu sorgen.

Nightwish haben ihren Stil perfektioniert und gefunden, also wird nur noch an kleinen Stellschrauben gedreht, statt große Kurskorrekturen vorzunehmen. Riffs und Orchesterelemente sowie Chorlinien kennt man seit dem Überalbum von 2004, aber solange das keine andere Band in der Intensität hinbekommt, ist das für die Anhänger wohl kein Problem.

„Shutter Before the Beautiful“ ist ein perfekter Einstieg, alle Trademarks sind enthalten und Floor brilliert im Refrain. „Weak Fantasy“ zeigt leicht traditionell-irische Elemente, ist nicht ganz so geradlinig wie der Vorgänger, überzeugt aber ebenso.

„Elan“ riecht nach Santiano, hat für viel Kritik im Vorfeld gesorgt und Floor erinnert an Tarja light, dennoch ein Ohrwurm. „Yours Is An Empty Hope“ zeigt erneut die cineastischen Vorlieben und Fähigkeiten von Chef Tuomas Holopainen, dazu modernes Riffing und eine starke Floor. „Our Decades In The Sun“ fehlt auf längere Sicht der Biss, ein recht ruhiger, atmosphärischer Song, der gern hätte mehr krachen dürfen.

„My Walden“ lässt den guten Troy glänzen, der Refrain geht fies ins Ohr, beim Titeltrack gibt es dann wieder vermehrt hektisches Tempo und Wucht. Ruhiger beginnt dagegen „Edema Ruh“, die Keyboardpassage erinnert aber stark an „Oceanborn“, dennoch sind die Vocals und Solo sehr gefühlvoll und emotional, ähnlich verhält es sich bei „Alpenglow“

Sechs Minuten ruhige Cineastik gibt es mit „The Eyes Of Sharbat Gula“, bevor es 24 Minuten mit dem vielsagenden Titel „The Greatest Show On Earth“ nochmal das ganze Spektrum gibt. Nach 6 Minuten wird folkoristisch gerockt, das Orchester lässt nochmal die Notenblätter fliegen, zum Abschluss wird es dann nochmal mit Sprechern und Soundeffekten eher ruhig.

Insgesamt kann man dem Album attestieren, dass es einige Leerläufe hat, wenn es aber kracht, macht es richtig Spaß. „Endless Forms Most Beautiful“ gibt alles, was man von Nightwish erwartet, das bewährte Rezept lässt aber keinen großen Spielraum für Neuerungen. Nightwish und Porsche: Das neue Modell macht Spaß, fährt sich aber ähnlich wie die Vorgänger.

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