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Strangers To Ourselves

Seit einiger Zeit hatte man Modest Mouse nun schon der Kategorie der ewig tourenden und keine neuen Alben veröffentlichenden Superstars zugeordnet. Es galt sich von der kommerziellen Erfolgsbombe ‚We Were Dead Before The Ship Even Sank‘ zu erholen. Damals war mit Johnny Marr hohe Prominenz in den Rock-Kader gekommen. Mit vereinten Kräften hievten sie das fünfte Studioalbum bis an die Spitze der Billboard-Charts, tourten eine halbe Ewigkeit um die Welt und überforderten sich wahrscheinlich selbst mit dem wahnsinnigen Erfolg.

Mainstream-Druck hin oder her, nach acht Jahren schlägt es doch langsam fünf vor zwölf. Weiß auch die Kombo aus Washington. So stellen Modest Mouse mit Pauken und Trompeten ein neues verrückt-verwirrtes Werk in die Pole-Position. Diesmal nicht Schiffbruch und Seemänner besingend, sondern mit der Suche nach der eigenen Bedeutung in einer fremdwirkenden Welt.

‚From birth to grave, I couldn’t see so clearly what I was or became‘.

(‚Pups To Dust‘)

Um Johnny Marr ärmer, aber um einige andere Gesichter reicher, musizieren die Indie-Rocker auf ‚Strangers To Ourselves‘ völlig losgelöst vom Vorgänger. Wechselspiel zwischen Laut und Leise perfektionieren sie durch eine Menge Kontraste. Nach gleichnamigem Opener, der sich durch bedachte Orchesterbegleitungen und unaufgeregtem Gesäusel hervor tut, fegen Gitarren, Rhythmusgruppen und Gesang über die aufgeladenen Tracks. Die Songs reichen von einem Spektrum ins nächste. Zartbesaiteten Akkustikmomenten (‚Coyotes‘, ‚God Is an Indian and You’re an Asshole‘) stellen sich kleine musikalische Explosionen (‚Be Brave‘) oder Jahrmarktmelodien(‚Sugar Boats‘) gegenüber. Das hervorragende ‚The Ground Walks, With Time in a Box‘, das Modest Mouse in bekannten Gewässern weiß, hält eine unglaubliche Spannung mit prägnanten Gitarrenriffs und antreibendem Disko-Basslauf aufrecht. Isaac Brock zeigt dabei so vielfältig wie selten, was in seinem starken Stimmchen steckt. Auch mal als verkappter Rap-Künstler auf ‚Shit In Your Cut‘ oder ‚Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996). Daraus lässt sich allerdings wenig ziehen. Diese Songs zählen nicht unbedingt zu den Glanzmomenten des Albums. Besonders wenn Isaac Brock mit entfremdeter Stimme

‚Why dont you come into my room and clean my pistol load up‘

singt, widmet man sich doch lieber wieder seiner bildhaften Alltagsphilosophie und lässt derartige Ausrutscher einfach unkommentiert.

Denn von den quälenden Fragen der verrückten Welt hat Herr Brock wieder einiges in petto und wird seiner verwirrten Philosophenrolle mehr als gerecht. ‚Strangers To Ourselves‘ könnte auch gut eine Lehrstunde über Identitätssuche und Lebenssinn sein. Steckengeblieben zwischen der Rolle des Menschen auf der Erde und dem eigenen Wirrwarr im Kopf, predigen die Amerikaner auf nahezu jedem Song des Albums die kümmerliche Rolle unserer selbst:

‚Well the earth doesn’t care / And we hardly even matter / We’re just a bit more piss to push out its full bladder‘

(‚Be Brave‘).

Modest Mouse sind mit lautem Getöse zurück und einem beachtlichen sechsten Album. Hier vereinen sich eine Bandbreite an aufregenden Sounds, die dringend ihren Weg zu uns nach draußen gesucht haben. Acht Jahre sind eben doch eine lange Zeit.

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