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RANESTRANE – Das Sternenkind zieht in den Krieg

Das Night Of The Prog Festival am Loreley-Felsen am Mittelrhein ist eines der weltweit größten und bekanntesten Festivals für anspruchsvolle, progressive Rockmusik. Für viele Bands ist es ein Wunschtraum, einmal auf dem „Felsen“ spielen zu dürfen. Dieses Jahr geht der Traum für RanestRane in Erfüllung, dem italienischen Quartett, das sich darauf spezialisiert hat, neue Soundtracks zu Filmklassikern zu schreiben, so zum Beispiel zu Werner Herzogs „Nosferatu“ oder für die Stanley-Kubrick-Klassiker „Shining“ und „2001: Odyssee im Weltraum“. Gerade bei den Live-Performances verschmelzen dann auch Musik, eingestreute Filmdialoge und Filmausschnitte auf einer Leinwand zu einem sphärischen Gesamtkunstwerk, das sie selbst „CineConcerto“ nennen. Leider war aufgrund der Open-Air-Bühne und der großen Helligkeit während des nachmittäglichen Auftritts der Band auf dem Festival nicht viel von den begleitenden Projektionen zu erkennen, hier lohnt es sich wirklich, RanestRane im Dunkeln zu erleben.

Riccardo Romano

Der Bandname ist übrigens eine Verballhornung der italienischen Begriffe „Rane“ und „Strane“, was übersetzt in etwa wie „seltsame Frösche“ heißt. Wir treffen auf dem Festival keine merkwürdigen Amphibien, sondern vier bodenständige, sehr sympathische Musiker zum Interview, die sich sichtlich auf ihren bevorstehenden Festivalauftritt freuen. RanestRane, das sind die Brüder Daniele und Massimo Pomo (Daniele an Schlagzeug und Gesang, Massimo an der Gitarre) sowie der Keyboarder und Soundtüftler Riccardo Romano und Bassist Maurizio Meo.

Vor drei oder vier Jahren hatte die Band den ersten Kontakt mit den Festivalorganisatoren. Durch deutsche Freunde aus dem Marillion-Fanclub, dem Einsatz von Steve Rothery (Gitarrist bei Marillion) und natürlich durch die Wünsche der Fans, die RanestRane unbedingt auf der Loreley haben wollten, gelang es schließlich endlich, den heutigen Gig in trockene Tücher zu bekommen. Am Vorabend des Festivals sind die vier Musiker nach einer langen Reise an der Loreley angekommen. „Es ist eine wunderbare Venue, nicht nur wegen der progressiven Musik hier, sondern auch wegen der tollen Landschaft“. Der Schlagzeuger und Sänger ist schwer begeistert. „Wir sind sehr stolz, hier zum ersten Mal spielen zu dürfen. Wir sind zwar nicht die erste italienische Band auf diesem Festival, aber doch die erste, die auf italienisch singt.“

Es ist in der Tat nicht ganz gewöhnlich, dass eine Prog-Band aus Italien in ihrer Landessprache singt – mit einem Schlagzeuger als Vokalist und Frontmann. Es gibt zwar viele Instrumentalparts in den Songs, aber der Gesang ist streckenweise durchaus prominent vorhanden. „Aus technischer Sicht ist es nicht ganz einfach, wenn der Schlagzeuger gleicheitig Hauptsänger ist“, berichtet Drummer / Sänger Daniele Pomo. „Wir hatten am Anfang andere Sänger ausprobiert, aber ihre Stimmen gefielen uns nicht für die Texte, die wir hatten. Also habe ich es versucht, aber im Grunde versuche ich immer, der Schlagzeuger zu sein.“ Man hat sich übrigens bewusst für die Muttersprache entschieden. „Ich finde, dass wir Italiener einen seltsamen Akzent haben, wenn wir versuchen, Englisch zu sprechen oder zu singen“, meint Daniele Pomo. „Ich glaube, die Fans von progressiver Musik sind bereit dafür, auch Songs in fremden Sprachen zu hören. Und dass es unseren Fans so auch besser gefällt, weil es eben typischer für uns ist. Außerdem haben wir in unseren Booklets immer eine englische Übersetzung der Texte.“

Daniele Pomo

RanestRane wurden 1998 in Italien gegründet und haben zunächst als Coverband gespielt, bevor das Konzept des „CineConcerto“ entwickelt wurde. „Wir sind alle sehr große Filmfans“, berichtet Daniele Pomo. 2007 erschien das Debütalbum, das sich mit Werner Herzogs Version der Vampirgeschichte „Nosferatu“ beschäftigt. Die Kritiken waren beachtlich, und das Quartett erkannte, dass ihr Konzept funktioniert. „Für uns ist der Regisseur Stanley Kubrick eines der größten filmschaffenden Genies überhaupt gewesen“, verrät der Sänger. Da war es also keine Frage, sich näher mit Kubrick und seinen bekanntesten Filmen zu beschäftigen. Im Jahre 2011 erschien daher das Doppelalbum „Shining“, basierend auf Kubricks visuell betörender Umsetzung der Stephen-King-Geschichte über den Schriftsteller Jack Torrance, der im einsamen eingeschneiten Overlook-Hotel immer mehr dem Wahnsinn verfällt. Psychedelische, atmosphärische Elemente und ausufernde Instrumentalparts schafften auf diesem Album eine völlig neue akustische Untermalung für den Film. Es ist bei allen RanestRane-Alben möglich und wünschenswert, Film und CD gleichzeitig zu starten und auf sich wirken zu lassen, denn die Musik ist nicht nur durch die Filmbilder inspiriert, sondern in perfekter Synchronisation mit jeder einzelnen Szene komponiert – das Timing stimmt genau, so dass einzelne Moment im Film exakt auf Rhythmus- oder Tempiwechsel in der Musik abgestimmt wirken, obwohl es natürlich andersherum ist.

Keyboarder Riccardo Romano führt hierzu aus: „Der erste Schritt ist es immer, den jeweiligen Film sehr oft zu schauen und sich genau die einzelnen Stimmungen und Momente herauszuarbeiten. Danach schreiben wir los, jammen oft gemeinsam zu den Szenen und sammeln langsam die Idee. Das dauert oft sehr lange. Wenn wir am Ende die Musik geschrieben haben, synchronisieren wir alles genau zum Film.“

Eine Menge Arbeit also für diese ungewöhnliche Band, die damit immer wieder frischen Wind in das Genre bringt. Die Schwierigkeit liegt darin, dass eben alles genau passen soll. Da muss die Länge eines Verses oder eines Solos genau angepasst werden, um im Timing zur Filmszene zu passen. Bei der Live-Performance kann man sich davon überzeugen, wenn die entsprechenden Sequenzen auf eine Leinwand über der Bühne projeziert werden.

Massimo Pomo

Nach dem Erfolg mit „Shining“ stand für die Band fest, sich Ende 2013 einem weiteren Kubrick-Klassiker zu widmen, dem Meilenstein des Science-Fiction-Genres natürlich: „2001 – Odyssee im Weltraum“ ist auch über 50 Jahre nach seiner Entstehung immer noch einer der bahnbrechendsten und faszinierendsten Filme aller Zeiten, der gerade auch durch seine psychedelischen Farbenspiele im Finale auch bei Musikfans sehr beliebt ist. Hervorragendes Material also für eine Neuinterpretation mit überwiegend instrumentalem Neo-Prog, diesmal unterstützt durch prominente Gastauftritte der Marillion-Mitglieder Steve Rothery und Steve Hogarth. „Uns verbindet eine lange Geschichte mit Marillion“, erinnert sich Daniele Pomo. „2011 haben wir Steve Rothery zum ersten Mal getroffen. Es ist eine Freundschaft zwischen uns entstanden. Im Jahr 2012 spielten wir auf der jährlichen Marillion-Fan-Convention in Italien und durften mit Steve Rothery gemeinsam performen.“

„Wir durften als Support für die Steve Rothery Band auf ihrer Europatour spielen. Sie hatten damals keinen Keyboarder, und schließlich wurde ich der Keyboarder für die Steve-Rothery-Band“, erklärt Keyboarder Riccardo Romano stolz. „Außerdem haben wir ein Akustik-Konzert mit Steve Hogarth von Marillion gespielt.“

Steve Rothery stand schließlich gemeinsam mit RanestRane in Rom auf der Bühne und steuerte Gitarrensoli bei, als die Show „Space Odyssey Live“ für DVD und CD festgehalten wurde. Das 2013 erschienene Album „Monolith“ war das erste einer Trilogie zum Film „2001“ und fand mit den weiteren Alben „H.A.L.“ und „Starchild“ seine Fortsetzung und den krönenden Abschluss. Beeindruckend ist die neue Interpretation des Filmfinales, wenn Astronaut David Bowman nach seinem psychedelischen Sternentor-Trip in einer anderen Dimension landet und schließlich als Sternenkind in einer Fruchtblase wiedergeboren wird. Das „Starchild“ hat eine höhere Bewusstseinsebene erreicht, und es wirkt beinahe so, als sei die Musik der Italiener nicht ganz unschuldig daran.

2013 traten RanestRane auf dem Italien Prog Rock Festival in Japan auf, wo sie durch ein komplettes Sinfonieorchester unterstützt wurden. „Es war eine unglaubliche Erfahrung, mit einem Orchester gemeinsam zu spielen“, erinnert sich Keyboarder Romano. „Und natürlich würden wir so etwas gerne noch einmal wiederholen.“ Es gibt tatsächlich entsprechende Pläne. „Wir wissen noch nicht, ob es ein neues Projekt wird, vielleicht kehren wir auch zu ‚Nosferatu‘ zurück und nehmen es noch einmal neu gemeinsam mit einem Orchester auf. Wir behalten diese Idee auf alle Fälle in unseren Köpfen.“

Man stelle sich vor, dass RanestRane vielleicht eines Tages gemeinsam mit einem großen Orchester auf der Bühne an der Loreley stehen könnten…

Nach dem Abschluss der „Space Odyssey“-Trilogie und im Hinblick auf die besondere Affinität zu Stanley Kubrick sind wir neugierig, ob sich RanestRane mit einem weiteren Kubrick-Klassiker beschäftigen werden. Filme wie das Historiengemälde „Barry Lyndon“ oder auch das Kriegsdrama „Full Metal Jacket“ müssten sich doch hervorragend für eine Prog-Rock-Umsetzung eignen. Aber RanestRane haben ganz andere Pläne. „Nein, das Thema Kubrick haben wir jetzt abgeschlossen.“

Die Reise des Sternenkindes ist beendet. Die Musiker verraten uns aber exklusiv etwas über ihr neues Projekt. „Wir haben neue Musik geschrieben und uns mit einem sehr bekannten Kriegsfilm beschäftigt. Dürfen wir das schon verraten?“

Whiskey-Soda gehört damit zu den ersten Magazinen, die an dieser Stelle etwas über die neuen RanestRane-Projekte berichten können. Der bekannte Kriegsfilm ist natürlich Francis Ford Coppolas Vietnam-Meisterwerk „Apocalypse Now“. Der Film aus den 70er Jahren kam später in einer verlängerten „Redux-Fassung“ erneut in die Lichtspielhäuser und wurde unlängst für eine neue Jubiläumsedition als sogenannter „Final Cut“ mit verbesserter Bild- und Tonqualität erneut in ausgewählte Kinos gebracht. Martin Sheens filmische Reise in den Dschungel und den abgrundtiefen Wahnsinn des Krieges ist also die neue Inspiration für die Italiener, und man darf sehr gespannt auf das Ergebnis sein.

Maurizio Meo

Doch damit nicht genug. Die kreativen Musiker haben ein weiteres Geheimnis in der Hinterhand. „Wir arbeiten derzeit an einem weiteren Projekt. Es wird ein ‚CineConcert‘, das sich mit der Alan-Parker-Verfilmung von Pink Floyds ‚The Wall‘ beschäftigt. Jetzt haben wir gleich zwei Geheimnisse verraten. Wir werden die Pink-Floyd-Musik dabei interpretieren und unsere eigene Musik für die Stellen im Film einsetzen, die bisher ohne Musik sind.“ Auch hier wird die Musik perfekt zum Film synchronisiert werden.

Und der Name RanestRane? Wir haben ja schon erklärt, dass es sich um eine Verballhornung der italienischen Begriffe für „Seltsam“ und „Frosch“ handelt. Daniele Pomo erklärt den Bandnamen noch etwas ausführlicher: „Am Anfang, als wir noch eine Coverband waren, nannten wir uns Hop-Frog nach der Geschichte von Edgar Allan Poe. Als wir dann damit begonnen, unsere eigenen Songs zu schreiben, haben wir uns von Hop-Frog in RanestRane umbenannt, wobei das R in der Mitte großgeschrieben wird. Es ist auch eine Anspielung auf ‚Instrumento‘, also auf unsere instrumentale Musik.“

Nach dem Ausblick auf die Zukunft darf man sehr gespannt auf die neuen Projekte der „Seltsamen Frösche“ sein, und insbesondere ihre Neuinterpretation von „The Wall“ dürfte für jeden Prog- und Artrock-Fan ein Pflichttermin werden. Es bleibt abzuwarten, wie das Quartett es schaffen wird, Pink Floyds Musik mit eigenen Kompositionen zu kombinieren und dem Alan-Parker-Film sowie dem bahnbrechenden Doppelalbum damit neue Aspekte abzugewinnen.

Wir wünschen den seltsamen Fröschen alles Gute für die Zukunft und sind sicher, dass RanestRane durch den Auftritt beim Night Of The Prog Festival viele neue Fans dazugewonnen haben.

Interview, Übersetzung und Fotos: Michael Buch

Vielen Dank an RanestRane für die uns zur Verfügung gestellte Zeit und den netten Kontakt.

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