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Payola

Sie hatten es sich im Grunde genommen selbst auferlegt, waren desaparecidos, für mehr als ein Jahrzehnt. Heute heißen sie nur noch so, denn die Welt hat sie wieder. ‚Read Music / Speak Spanish‘ hatte ihr Debüt damals geheißen. ‚Payola‘ würde klingen „wie damals“, hätten Desaparecidos zu ihren Anfängen ähnlich viel Wut im Bauch gehabt. Hatten sie aber nicht.

‚Payola‘ hingegen wird in die schmale Diskographie eingehen als solides Bauchgefühls-Album voller impulsiver Zwei- bis Dreiminüter, zornig gefuzzten Gitarren, ungeduldigem Drumming und einem übersteuert nölenden Conor Oberst. Die Angelegenheit ist dringlich, die Marschrichtung links:

‚If one must die to save the ninety-nine / Maybe it’s justified / The left is right / We’re doomed‘

– man ist bei Occupy dabei, und noch dazu ein kleines bisschen emo.

Einem Überraschungseffekt jedoch hatten Oberst und Brigade durch Live-Auftritte sowie die sukzessive Veröffentlichung einer ganzer Reihe von Singles vorgebeugt. So sind sechs Stücke bereits bekannt; im Übrigen hält man sich auf Linie. Klanglich jedenfalls. Inhaltlich ist lautstarkes Paroli angesagt: Politik, Business und Gesellschaft bekommen Torten und Tomaten ab, die neue Bequemlichkeit in der Protestkultur wird abgewatscht:

‚Everyone is selfless it’s so much fun / Donate a dollar with my coffee and save someone / … / You don’t have to march, you just click your thumb‘

. Runter auf die Straße, zeigen sollt ihr euch! Müssen die gerade sagen, die Desaparecidos.

‚The race is done / The money’s gone / But you’re living strong / with your bracelet on‘

. Womit nach dem verrufenen Maricopa-County-Sherriff Joe Arpaio (‚MariKKKopa‘) auch der tief gefallene Lance Armstrong und seine doofen gelben Gummibändchen ihr Fett wegbekommen hätten.

Für ihre kleine Ladefläche haben die Songs also ordentlich aufgeladen – zu viel, um sich in mehr als schnittigen Andeutungen zu ergehen. Aber eben auch genug, um nachhaltig aufzuscheuchen. À propos geladen: Als Gäste sind Laura Jane Grace von Against Me!, Tim Kasher und The So So Glos mit von der Partie; produziert hat – wenig überraschend – Saddle-Creek-Urviech Mike Mogis. Man ist unter Freunden, und das lässt sich hören. Welchen Preis aber der Hörer für das Reapparieren der glorreichen Nebraskanesen zu zahlen hat, bleibt im Unklaren. Dass Conor Oberst sich ein Leben ohne Bright Eyes vorstellen kann, ist zumindest kein Geheimnis mehr. Seine dicke melancholische Ader jedoch wird sich kaum mal eben im Vorbeigehen veröden lassen. Und es wird sicher wieder stillere Tage geben. Allein schon, weil man gegen Liebeskummer nicht auf die Straße gehen kann.

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